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Weißrussland
 
Für drei Tage Hauptstadt des Humors

 
Auzjuki ist für Weißrussland etwa das, was z.B. Gabrovo für Bulgarien ist oder Odessa für Russland: die heimliche Hauptstadt des Humors. Galt diese Bezeichnung zunächst nur inoffiziell, hat sie inzwischen auch eine offizielle Bestätigung erfahren: 1995 fand hier auf Betreiben des Schriftstellers Vladimir Lipski der erste Gesamtweißrussische Tag des Humors statt. Mittlerweile hat sich daraus ein Festival entwickelt, das alle zwei Jahre mehrere hundert Teilnehmer und Gäste anlockt.

 
Bei Auzjuki von einer „Hauptstadt“ zu sprechen, ist allerdings maßlos übertrieben, denn die Rede ist hier von einem Dorf, das aus zwei Teilen besteht: Groß-Auzjuki und Klein-Auzjuki. Die Eröffnung des Festivals fand in Klein-Auzjuki statt, das Festival selbst am darauffolgenden Wochenende in Groß-Auzjuki.

 
Da wir aber am nächsten Tag schon nach Minsk fuhren, konnten wir nur die Eröffnung miterleben. Doch auch dafür hatte es sich gelohnt, nach Auzjuki zu fahren. Was im Einzelnen an Beiträgen geboten wurde, konnte ich leider nicht verstehen, weil natürlich die meisten Künstler in weißrussischer Sprache auftraten, und auch wenn sich beim Lesen weißrussischer Texte mit Hilfe anderer slawischer Sprachen der Sinn durchaus erahnen lässt, ist das Verstehen beim bloßen Zuhören für mich leider nach wie vor ein aussichtsloses Unterfangen. So musste ich mich – wie die anderen Mitglieder unserer kleinen Gruppe – auf das beschränken, was ich sah, und auch das war schon sehr eindrucksvoll.

 
Die Eröffnungsveranstaltung ähnelte in ihrem Aufbau zwar sehr einem Fahnenappell – alle standen im Rechteck um einen Platz herum und auf einer provisorischen Bühne spielte sich das eigentliche Geschehen ab – war aber wesentlich schöner anzusehen. Alle Teilnehmer des Festivals trugen entweder bunte Kostüme oder ihre jeweiligen regionalen Trachten. Die Musikgruppen hatten ihre Instrumente dabei, und noch ehe die eigentliche Zeremonie begann, spielten, sangen und tanzten sie schon an ihren Stellplätzen. Es folgten die üblichen Reden von Veranstaltern und Vertretern der Stadtverwaltung. Danach wurde ein Denkmal enthüllt, wie man es wohl nur selten findet – ein Denkmal für die Bewohner von Auzjuki.

 
Hierbei handelte es sich um einen großen Holzwürfel auf Pfeilern (er sah ein wenig aus wie ein Hochstand), an dessen Seitenflächen Schnitzereien Szenen aus dem traditionellen Leben dieser Region zeigten. Die Hauptfiguren auf diesen Reliefs sind Kalinka und Kolossok, wie in Auzjuki die Frauen und Männer genannt werden.

 
Das anschließende Kulturprogramm wurde natürlich von den Festivalteilnehmern selbst bestritten und war nur der Auftakt zu vielen einzelnen Veranstaltungen, die im Laufe des Wochenendes folgen sollten. Der eigentliche Höhepunkt des Abends erwartete uns jedoch noch.

 
Als der offizielle Teil der Eröffnung zu Ende war, begann ein großes Fest, an dem das ganze Dorf seinen Anteil hatte. Auf Pferdewagen und zu Fuß zogen die etwa 200 Festivalteilnehmer zum Vergnügen der Dorfbewohner und der Gäste durch die Dorfstraße, blieben vor jedem Gehöft stehen und sangen und tanzten für die Bewohner. Diese wiederum hatten sich lange auf diesen Tag vorbereitet, hatten Büffets zusammengestellt und ihre Handarbeiten ausgebreitet – zum Anschauen und Kaufen.

 
Bewirtet wurde jeder, der auf den jeweiligen Hof kam – das selbstverständlich kostenlos und unter ständigen Aufforderungen, doch richtig zuzugreifen und noch mehr zu nehmen. Angeboten wurde alles, was Hof und Garten und die heimische Küche hergaben: Piroggen, Speck, Salate, aber auch Kuchen und selbstgebrannter Schnaps. Es war nicht einfach, sich von einem Gehöft zu verabschieden und zum nächsten vorzudringen. Das war aber nicht schlimm, denn wir hatten an diesem Abend alle Zeit der Welt und waren mit unseren weißrussischen Gastgebern zusammen, die uns gute Freunde geworden sind. Es gab keinen Grund zur Eile, wir konnten bei diesem ausgelassenen Fest in der Abendsonne einfach die Seele baumeln lassen.

 
(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
 
 
 
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