Europa-Asien und zurück:
1001 Nacht in 24 Stunden
Von Europa nach Asien
Gleich nach unserer
Ankunft und einem reichlich hektischen Mittagessen ging es los mit einem
Stadtrundgang, zu dem uns ein äußerst unterhaltsamer Stadtführer bereits
erwartete. Es war Freitag, der heilige Tag der Muslime, und das Erste, was uns
der Stadtführer über die religiösen Sitten und Gebräuche mitteilte, war: „Gute
muslimische Gläubige beten fünfmal am Tag, die schlechten Gläubigen werden
Reiseleiter …“
Einen
besseren Reiseleiter hätten wir uns allerdings nicht wünschen können, denn wir
erfuhren nicht nur vieles über die einzelnen Sehenswürdigkeiten („Glauben Sie
nicht den Zahlen, die sie in den Büchern hier finden, die widersprechen sich
sowieso! Vertrauen Sie nur auf das, was sie von mir hören!“), sondern auch jede
Menge Wissenswertes über die Gepflogenheiten eines Landes, das nur auf den
ersten Blick fremd und exotisch, bei genauerem Hinsehen und Hinhören aber
durchaus moderner erscheint, als man gemeinhin geneigt ist anzunehmen.
Unsere
erste Station beim Stadtrundgang war der Hippodrom-Platz mit einem Brunnen, den
der letzte deutsche Kaiser dem damaligen türkischen Sultan geschenkt hat, der
Konstantin-Säule und der Schlangensäule, einem der ältesten Monumente Istanbuls
aus dem 5. Jahrhundert.
Anschließend
führte uns unser Weg in die berühmte Sultan-Ahmed-Moschee, bei uns bekannt als
die Blaue Moschee. Bei dieser Gelegenheit erfuhren wir auch, dass es mit dem
Bau einer Moschee allein nicht getan ist: Zu jedem dieser Gotteshäuser gehören
als Mindestausstattung zusätzlich ein Waschhaus, eine Armenküche, eine
Koranschule und natürlich die Minarette. In diesem Fall waren die Minarette
noch ein zusätzlicher Kostenfaktor, da die Blaue Moschee als Besonderheit sechs
von ihnen erhalten sollte. Die einzige Moschee der Welt, die zu diesem
Zeitpunkt, in den ersten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, ebenfalls über
sechs Minarette verfügte, war die Moschee in Mekka. Da Bauten dieser Art von
dort aus genehmigt werden mussten, war die Erlaubnis zum Bau der sechs
Minarette in Istanbul mit der Auflage verbunden, für Mekka ein weiteres
Minarett zu stiften, sodass die zahlenmäßige Überlegenheit erhalten blieb.
Beim
Betreten des Innenhofes mit dem Brunnen erhielten wir eine Einführung in die Gebetsrituale
des Islam und vieles, was damit zusammenhängt. Dass Muslime gen Mekka beten,
dürfte inzwischen allgemein bekannt sein, welche Waschungen davor vorgenommen
werden müssen, wissen wahrscheinlich schon weniger Nicht-Muslime. So müssen vor
jedem Gebet Arme, Gesicht und Füße gereinigt werden, und zwar in einer exakt
vorgeschriebenen Reihenfolge, die immer rechts beginnt.
Die
Moschee selbst ist natürlich mehr als beeindruckend, obwohl uns alle
Istanbul-Kenner versicherten, die Süleyman-Moschee sei noch wesentlich schöner.
Aber auch außerhalb der Gebetszeit einfach zuhören zu können, wie der Imam in
seiner Vorbeterloge Koranverse vorliest, war schon ein Erlebnis – von der
Architektur mit den reich geschmückten Säulen und Wänden mit den blauen
Fayencen, die der Moschee ihren Namen gegeben haben, und den bunten Fenstern
ganz zu schweigen.
Nach
einem Blick auf die weltbekannte, zur Moschee umfunktionierte Kathedrale Hagia
Sophia, die inzwischen ein Museum ist, verließen wir den Platz vor der Blauen
Moschee, die der Hagia Sophia direkt gegenübersteht. Zu gern wäre ich auch dort
noch hineingegangen, doch eine ziemlich lange Schlange vor dem Eingang hielt
uns für dieses Mal davon ab und ließ uns den Besuch des einst bedeutendsten
Gotteshauses der Christenheit aufs nächste Mal verschieben, denn dass das nicht
unser letzter Besuch in Istanbul gewesen sein sollte, dessen waren wir uns zu
diesem Zeitpunkt schon sicher.
Nun
hatten wir die Wahl, was wir während unseres Stadtrundgangs noch besuchen
wollten: Eigentlich war im Programm der erste Garten des Topkapi-Palastes
vorgesehen, in dem es allerdings nach Auskunft unseres Reiseleiters außer einem
schönen Park nicht allzu viel zu sehen gebe. Die Alternative war die sogenannte
Cisterna Basilica, einer der Wasserspeicher der Stadt, für den wir uns sofort
entschieden, was sich als goldrichtig erweisen sollte.
Das
imposante Bauwerk wird im Volksmund auch der Versunkene Palast genannt, denn er
ruht auf 336 Marmorsäulen, die zum großen Teil aus älteren Gebäuden stammen. Der
Bau der Zisterne geht auf einen Befehl von Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert
zurück, und sie hat eine Gesamtfläche von 9.800 Quadratmetern und ein
Fassungsvermögen von 100.000 Tonnen Wasser. Es ist ein grandioser Anblick, die
zwölf Reihen aus jeweils 98 Säulen mit einer Höhe von je neun Metern zu sehen
und zwischen ihnen entlang zu laufen.
Abgesehen
von der einzigartigen Atmosphäre gibt es in diesem Bauwerk auch einiges zu
sehen, wie die Tränensäule und zwei Medusenhäupter als Säulensockel. Die Medusa
war in der antiken Mythologie eine der drei Gorgonen – sie hatte Schlangen als
Haare und die Gabe, jeden, den sie ansah, zu Stein werden zu lassen. Eine
Version der Geschichte, warum die Medusen die Säulen schmücken, ist, dass zu
jener Zeit Bilder und Statuen von Gorgonen dazu dienen sollten, Bauwerke zu
schützen. Damit der Betrachter nicht zu Stein wurde, wurden die Medusenhäupter
seitlich oder kopfüber angebracht.
Ehrfurchtsvoll
streiften wir durch das antike Gebäude und waren froh, dass wir uns dafür und nicht
für den Besuch des Topkapi-Parks entschieden hatten, bei dem für den Palast
selbst ohnehin keine Zeit gewesen wäre.
Nach
einem kurzen Zwischenstopp im Hotel ging es dann weiter mit einer sogenannten
Lichterfahrt, die eigentlich nichts anderes war als eine abendliche Busfahrt. Auf
dem Taksim-Platz aber herrscht um diese Tageszeit noch ein reges Treiben – oder
vielleicht gerade um diese Zeit, denn es ist Ramadan, und das Fasten darf erst
nach Sonnenuntergang gebrochen werden, sodass sich Restaurants und Cafés nun in
der Dunkelheit eines regen Zulaufs erfreuen. Mit anderen Worten: Man findet
sich sozusagen auf einer Zwischenstufe zwischen Gewimmel und Gedränge wieder,
die auch in Großstädten bei uns nur zu besonderen Anlässen erreicht wird,
während sie hier geradezu alltäglich wirkt.
Als
wir allerdings dem Getümmel entkommen sind, erwartete uns ein Anblick, für den
allein sich der abendliche Ausflug schon gelohnt hat: der nächtlich
angeleuchtete Eingang des Dolmabahçe-Palastes der türkischen Sultane, der sicher
auch einen ausführlicheren Besuch wert wäre. Spätestens hier beschlossen wir,
die insgesamt 24 Stunden, die uns nach Abzug aller Busfahrten dieses Mal in
Istanbul blieben, dafür zu nutzen, uns einen Überblick über die Stadt und
darüber zu verschaffen, was wir uns beim nächsten Mal genauer ansehen wollten.
Den
krönenden Abschluss des Tages aber bildete der Besuch eines Teegartens auf der
asiatischen Seite mit Blick auf den Bosporus und die Bosporus-Brücke und
natürlich die Lichter der Stadt, die in diesem Moment noch zahlreicher waren
als zu anderen Zeiten im Jahr, denn die Balkons der Minarette werden nur im
Ramadan abends beleuchtet, um den Gläubigen zu signalisieren, dass sie essen
und trinken dürfen, weil die Sonne bereits untergegangen ist.
So
genossen auch wir den Ausklang dieses Tages, ehe wir müde, aber mit einer
Unmenge neuer Eindrücke ins Hotel zurückkehrten.
(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus
der gleichnamigen Reiseskizze, die in meinem Buch „Höhenangst in Paris,
böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ Im Anthea-Verlag
erschienen ist.)