Ein Maskenball ohne Musik
Manche Geschichten haben eine lange Vorlaufzeit. Diese ist
mit Sicherheit eine von ihnen, denn ihr Ursprung liegt, wie ich nun weiß, mehr
als zwanzig Jahre zurück. Es ist schon lange her, dass ich in einem Schloss
einen Saal gesehen habe, an dessen Wänden ein kompletter Maskenball dargestellt
war. Leider konnte ich mich im Laufe der Zeit nur mit keiner Silbe daran
erinnern, in welchem Schloss sich dieser Saal befindet. Wir waren in mehreren
Ländern gewesen, hatten die verschiedensten Städte besucht und unzählige
Schlösser besichtigt, sodass das Wissen darüber, wo der imposante Maskenball zu
verorten war, bei mir in den Hintergrund gerückt ist.
Im vorigen Jahr nun waren wir nach langer Zeit wieder einmal
in Český Krumlov, weil mir das dortige Schloss schon immer gut gefallen hat:
zunächst auf Fotos, später auch in natura. Der bunte Turm sieht so freundlich
aus, dass er förmlich dazu einlädt, sich das ganze Städtchen näher anzusehen.
Bei unserem ersten Besuch hatten wir auch an einer Schlossführung teilgenommen,
und nach einigem Suchen finden sich sicher auch noch Tagebucheintragungen
darüber in meinen damaligen Aufzeichnungen. Da dies unser erster längerer
Aufenthalt in Südböhmen gewesen war, beschlossen wir, nunmehr nur für einen Tag
auf der Durchreise, es beim Schlendern durch die Schlossanlagen bewenden zu
lassen, und kauften lediglich am Schluss noch einen kleinen Schlossführer. Wie
erstaunt war ich jedoch, als ich beim Durchblättern auf die Bilder des von mir
lange vermissten Maskensaales stieß! Hier war er also! Leider waren die
Öffnungszeiten des Schlosses bereits vorbei, und uns für den nächsten Tag noch
einer Schlossführung anzuschließen, war angesichts unserer sonstigen Pläne
illusorisch.
So verschoben wir die Absicht, den Saal noch einmal in voller
Schönheit zu genießen, auf dieses Jahr, und im Juli war es endlich soweit. Kaum
in der Stadt an der Moldau angekommen, begaben wir uns auf den Schlossberg, um Eintrittskarten
zu kaufen, denn außerhalb von Führungen darf man das Schloss nicht betreten.
Wir frischten also unsere vor vielen Jahren erworbenen Kenntnisse über die
Adelsgeschlechter der Rosenbergs und der Schwarzenbergs auf, die die gesamte
Geschichte Südböhmens maßgeblich bestimmt haben, und am Ende der Tour kamen wir
endlich in den lange ersehnten Saal. Er war wirklich so schön, wie ich ihn in
Erinnerung hatte. An allen Wänden waren Teilnehmer des fiktiven Maskenballs zu
sehen, unter ihnen auch der Maler selbst und sein Gehilfe, der sich sogar im
Spiegel betrachtete. Hierfür hatte ihn sein Meister Josef sowohl auf einer Wand
als auch auf dem angrenzenden Spiegel abgebildet. Dieser hatte von Josef Adam
von Schwarzenberg 1748 den Auftrag erhalten, den Festsaal
des Schlosses auszugestalten. Die daraufhin entstandenen Fresken zeigen sowohl
exotische Personen von anderen Erdteilen, aber auch Figuren aus der
weltberühmten Commedia dell’Arte: Harlekin, Kolombina und Pierrot. Er benötigte
dafür lediglich ein halbes Jahr, und nun ist der Saal ein Prunkstück des
südböhmischen Rokoko.
Leider ist das Fotografieren in sämtlichen Innenräumen des
Schlosses streng verboten, und damit ist meine Erinnerungslücke wahrscheinlich
auch zu erklären. Hätte ich nach dem damaligen Urlaub noch Fotos von den
Fresken gehabt, wäre mir ihr Standort sicher nicht entfallen. Allerdings wäre
es wahrscheinlich auch gar nicht praktikabel, das Fotografieren während der
Führung zu gestatten, da die einzelnen Gruppen so eng getaktet sind, dass man
überhaupt keine Zeit hätte, auf alle Hobbyfotografen zu warten. So war auch
unser diesjähriger Aufenthalt in dem Saal, den ich so lange schon wieder einmal
sehen wollte, sehr kurz – mehr als ein eiliges Vorbeiflanieren an allen
bemalten Wänden ließ der straffe Zeitplan nicht zu. So wird es wohl immer mal
wieder in unserer Urlaubsplanung auftauchen, einen kurzen Blick auf diese
interessanten Wandbilder zu erhaschen, denn lohnend ist ein solcher Besuch
allemal!