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Tschechien
 
Die Villa Amerika im Herzen Europas

 
In den letzten Jahrzehnten ist immer wieder vom "Haus Europa" die Rede, meist aus dem Mund von Politikern. Es ist ein recht abstrakter Begriff, mit dem jeder seine eigenen Vorstellungen verbindet. Die Villa Amerika ist höchst real und befindet sich in der Prager Neustadt. Ihr offizieller Name ist Sommerpalais Michna, und wer sich für klassische Musik interessiert, sollte es sich bei einem Prag-Aufenthalt nicht entgehen lassen, sie zu besuchen. Die Villa beherbergt nämlich das Antonín-Dvořák-Museum. Anders als das Smetana-Museum, das sich einem unmittelbar neben der Karlsbrücke geradezu aufdrängt, muss man die Villa jedoch zielgerichtet suchen. Sie befindet sich in einer Nebenstraße, und selbst bis zu nächsten Metro-Station muss man ein wenig laufen, sodass sie nur mit Hilfe von Wegweisern oder eines Blicks in den Reiseführer auszumachen ist.

 
Als wir den Weg und damit auch die Villa schließlich gefunden hatten, empfingen uns im sogenannten Hof, also eigentlich im Vorgarten "alte Bekannte" - Plastiken des berühmten Barockkünstlers Matthias Bernhard Braun, dessen Werke dem aufmerksamen Betrachter in ganz Böhmen begegnen können, in Prag beispielsweise auf der Karlsbrücke, im Königlichen Garten auf der Burg und im Vrtba-Garten. In diesem Fall ist das auch nicht verwunderlich, handelt es sich bei dem Palais doch um einen Bau aus dem Barock, in Auftrag gegeben bereits von dem 1711 in den Grafenstand erhobenen Johann Wenzel Michna von Vacínov.

 
Seinen Beinamen Villa Amerika erhielt das Gebäude nach einem Restaurant, das sich zeitweilig in den Räumlichkeiten befand. Erst 1932, als sich ein Verein für die Errichtung eines Dvořák-Denkmals hier ansiedelte und das Museum einrichtete, kam der Bau zu seiner heutigen Bestimmung.

 
Nun aber eröffnet sich dem Besucher, sobald er das Museum betritt, gleichsam eine neue Welt - um einmal in der Terminologie des Komponisten zu bleiben, wenn er diesen Begriff auch anders gemeint hat.

 
Die Ausstattung des Museums ist eine gelungene Mischung aus traditionellen Vitrinen mit Fotos, Notenmanuskripten, Reiseutensilien und Auszeichnungen mit Einrichtungsgegenständen wie seinem Klavier und modernen Medien wie einer Wand, an der man biografische Daten aus dem Leben des Komponisten zu seinen jeweiligen Werken in Beziehung setzen kann.

 
Was einen jedoch geradezu erschlägt, ist die Bemalung der Wände im großen Festsaal, in dem zuweilen auch Konzerte stattfinden. Sie hat auf den ersten Blick nicht das Geringste mit Dvořák und seiner Epoche zu tun, sondern deutet ganz eindeutig auf den barocken Ursprung der Villa hin. Schließlich handelt es sich hierbei um Fresken aus der Zeit um 1720. Ihr Urheber ist der Maler Johann Ferdinand Schorr, der von 1686 bis 1767 gelebt hat.

 
Das Erlebnis, das den unvorbereiteten Besucher der Villa Amerika erwartet, würde man in der heutigen Werbesprache vielleicht mit einem "Genuss für alle Sinne" anpreisen. Tatsache aber ist, dass hier meines Erachtens eine bemerkenswerte Synthese aus musealer Wissensvermittlung und optischer Opulenz gelungen ist, die durch den akustischen Eindruck eines Konzertes sicher noch gesteigert wird. Ein Besuch dieses ungewöhnlichen Museums lohnt sich in jedem Falle, da es nicht nur für Liebhaber der klassischen Musik, sondern auch der Malerei und nicht zuletzt der Bildhauerei eine echte Horizonterweiterung sein kann.

 
(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
 
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