Kunst, Mathematik und mehr
Bereits der Blick von außen auf
das Guggenheim-Museum in Bilbao ist spektakulär und war uns natürlich schon
lange von vielen Fotos her bekannt. Die Tatsache, dass es keine senkrechten
Wände gibt und das von dem Architekten Frank O. Gehry entworfene Gebäude im
Stil des Dekonstruktivismus aus jeder Perspektive anders aussieht, lernt man
jedoch erst richtig zu schätzen, wenn man direkt davor steht. 30.000
Titanbleche, die dem Ganzen den Glanz von Fischschuppen verleihen sollen, tun
ein Übriges, und der Kontrast zur Puente La Salve, deren Konstruktion durch die
„Roten Bögen“ von dem französischen Bildhauer und Konzeptkünstler Daniel Buren
bildet gleich den nächsten Blickfang, bevor man das Gelände des Museums
überhaupt betritt.
Am
auffälligsten dürften im Außenbereich aber die Werke von Jeff Koons sein: Ein
zwölf Meter hoher, mit bunten Blumen bepflanzter Welpe begrüßt die Besucher von
der Stadtseite her, und direkt über dem Flussufer sind die „Tulpen“ zu
erkennen, eine Skulptur aus der Serie „Celebrations“, die an bunte Luftballons
bei einem Kindergeburtstag erinnern soll. Es ist wirklich verblüffend, wie
leicht diese Elemente wirken, obwohl man sie wahrscheinlich beim besten Willen
nicht anheben könnte.
So verspielt einige der Werke um
das Museum wirken mögen, im Inneren wird es gleich wesentlich ernster. Das ist
zum großen Teil der amerikanischen Künstlerin Jenny Holzer zu verdanken, deren
„Installation für Bilbao“ neun jeweils zwölf Meter hohe LED-Bänder umfasst, auf
denen in nach oben laufender Schrift Zitate auf Spanisch, Englisch und Baskisch
den Schrecken, den AIDS seinerzeit über die Menschen gebracht hat, und den
Schmerz der Hinterbliebenen thematisieren.
Wir hatten die Möglichkeit, noch
weitere Werke von Jenny Holzer kennenzulernen, da das Guggenheim-Museum es sich
zur Aufgabe gemacht hat, außer einer beeindruckenden Dauerausstellung auch
immer wieder große Sonderausstellungen mit Werken der modernen Kunst zu zeigen.
Als wir es besuchten, waren diese Sonderausstellungen Lucio Fontana, Giorgio
Morandi, Gerhard Richter und eben Jenny Holzer gewidmet. Letztere macht bis
heute sehr drastisch auf die Missstände dieser Welt aufmerksam, wie ihr Werk
„Sworn Statement“, für das sie ethisch vertretbar erworbene menschliche Knochen
arrangiert hat und bei dem als LED-Laufschrift eine Dokumentation über den
Missbrauch von afghanischen Häftlingen durch amerikanische Spezialeinheiten zu
lesen ist. Komplettiert wird dieser Raum durch die Installation „Ram“ mit
Gedichten der polnischen Dichterin Anna Świrszczyńska, die als Krankenschwester
am Warschauer Aufstand teilgenommen und ihre Erfahrungen dreißig Jahre später
in hundert Gedichten veröffentlicht hat. Interessant war auch der Saal mit
Werken von Künstlern, die Jenny Holzer beeinflusst haben. Hier traf ich schon
wieder auf wesentlich mehr Namen, die mir vertraut waren: von Paul Klee und
Natalja Gontscharowa bis hin zu Keith Haring, George Grosz und der bereits
erwähnten Louise Bourgeois.
Besonders im Vergleich zu den
Seestücken von Gerhard Richter und den Stillleben von Morandi war diese
Sonderausstellung alles andere als leichte Kost, aber auf jeden Fall
sehenswert, weil sie die Verbindung von Kunst und Politik mit den Mitteln der
modernen Technik in vielerlei Richtungen auslotete.
In einem anderen Spannungsfeld,
nämlich dem zwischen Kunst und Geometrie, bewegt sich das Werk der Dauerausstellung,
das mit Sicherheit die größte Fläche in Anspruch nimmt: „The Matter of Time“
von Richard Serra. Acht Labyrinthe, die auf den ersten Blick aus etwas
angerosteten Spiralen bestehen, entpuppen sich beim genaueren Hinsehen und
Lesen der Beschreibungen als mathematische Kunstwerke im wahrsten Sinne des
Wortes. Wer hätte denn schon einmal darüber nachgedacht, wie sich die Wände
eines Körpers zueinander verhalten, dessen Deckfläche, das um 60 Grad gedrehte
kongruente Gegenstück zur Ellipse seiner Grundfläche ist? In Bilbao kann man
das buchstäblich am eigenen Leib erfahren, weil nur die Außenwand dieses
Körpers aufgebaut wurde und man so in ihn hineingehen kann. Die ganz hohe
Schule ist dann die gedrehte doppelte Ellipse, bei der all das mit zwei ineinander
verschränkten Ellipsen ausgeführt wurde, sodass man, wenn man sich zwischen den
beiden Wänden bewegt, spüren kann, wie sich diese quasi aufeinander zu und
wieder voneinander weg bewegen.
Dass in einem Museum für moderne
Kunst bestimmte Namen einfach nicht fehlen dürfen, versteht sich von selbst. So
ist Andy Warhol mit seinen 50 verschiedenfarbigen Marilyns vertreten und Anselm
Kiefer mit riesigen Bildern, die Himmel und Erde zueinander in Beziehung
setzen.
Vermutlich ist es gar nicht
möglich, bei einem einzigen Besuch die gesamte Bandbreite dieses Museums in
sich aufzunehmen, auch wenn der überaus ausführliche Audioguide, der in
mehreren Sprachen gratis angeboten wird, sich wahrscheinlich genau das zum Ziel
gemacht hat. Wir jedoch waren nach mehr als vier Stunden, die wir in diesem
Museum verbracht haben, regelrecht geistig „satt“ und fest davon überzeugt,
dass das wohl nicht unser letzter Besuch dieses außergewöhnlichen Hauses
gewesen war.
Der kleine Stadtbummel, ohne den
wir Bilbao natürlich nicht verlassen konnten, zeigte uns, dass es dort auf
jeden Fall noch wesentlich mehr zu sehen gibt, und so werden wir beim nächsten
Mal vielleicht auch etwas mehr Zeit einplanen. Lohnen würde es sich auf jeden
Fall, denn in dieser Stadt wird es einem sicher auch an mehreren Tagen
keineswegs langweilig.