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Russland
 
Die Stadt am Ende des Alphabets

 
"Moskau ist nicht Russland", lautet ein russisches Sprichwort, und deshalb freuten wir uns besonders, als wir während unseres Aufenthaltes in Moskau auch noch eine Einladung nach Jaroslawl erhielten. Zwar blieben uns für den Besuch dieser Stadt nur ziemlich genau 24 Stunden, weil die Reise schon ihrem Ende entgegenging, doch die Eindrücke, die wir dabei sammelten, hätte ich um keinen Preis missen mögen.

Es war zwar nicht besonders kalt (nur wenige Grad unter Null), und um uns aufzumuntern erzählte man uns, dass kurz zuvor noch -30° C geherrscht hatten, doch die gefühlte Temperatur war dennoch weitaus niedriger.

Doch - um bei den Sprichwörtern zu bleiben - wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall! Die Kinder, die in der so genannten Eisstadt spielten, waren hellauf begeistert! Hierbei handelte es sich nämlich um von Firmen gesponserte Skulpturen, auf denen man herumtoben konnte - mit kleinen Brücken, Rutschbahnen und so weiter - und sie alle waren aus Eis!

Wir aber schlenderten durch die Stadt und freuten uns an den vielen Kirchen und anderen architektonischen Besonderheiten. Dass das immer noch möglich ist, verdankt die Stadt Überlieferungen zufolge einem ganz profanen Umstand. Man erzählt sich in Jaroslawl, als unter Stalin der Großteil der Kirchen in den russischen Städten vernichtet oder bis zur Unkenntlichkeit zweckentfremdet wurde, sei die damalige Bürokratie alphabetisch vorgegangen. Da Jaroslawl im Russischen mit einem "Ja", dem letzten Buchstaben des kyrillischen Alphabets beginnt, sei, ehe es zu diesen Zerstörungen kommen konnte, der Krieg ausgebrochen, und die Kirchen wurden verschont, weil es nun andere Prioritäten gab. Wie hoch der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte ist, lässt sich inzwischen schwer feststellen, zumal auch in Jaroslawl nicht alle Kirchen verschont geblieben sind, aber die Anzahl der erhalten gebliebenen Gotteshäuser ist wohl tatsächlich höher als in anderen Städten.

So ist es überhaupt kein Wunder, dass Jaroslawl zum "engsten Kreis" der Städte des Goldenen Ringes zählt. Unter dieser Bezeichnung werden altrussische Städte nordöstlich von Moskau zusammengefasst, die Touristen einen besonders guten Einblick in die Geschichte, Kultur und Volkskunst Russlands geben. Die Liste der Städte, die zum Goldenen Ring gehören, schwankt etwas - je nach Blickwinkel und wahrscheinlich auch nach Reiseveranstalter -, doch Jaroslawl gehört zu den Städten, die sich in jeder Aufzählung finden.

Da wir genau zum orthodoxen Weihnachtsfest gekommen waren, führte uns unser Weg auch in ein Kloster: Dort fand ein großes Weihnachtsvolksfest mit Gesang, Tanz und Spielen statt. Uns interessierten allerdings das Klostergelände und die einzelnen Gebäude noch mehr. In einem von ihnen haben wir uns eine sehr schöne und relativ große Ikonenausstellung angesehen. Das war ein Gefühl - zum orthodoxen Weihnachtsfest diese Ikonen zu sehen, während es draußen ganz allmählich dämmerte und der Schnee in großen Flocken fiel! Spätestens in diesem Moment war klar, dass es eine der besten Entscheidungen dieser Reise gewesen war, nach Jaroslawl zu kommen, und dass ich tief in meinem Inneren hoffte, irgendwann zurückzukehren und noch etwas mehr Zeit für diese Stadt zu haben.

Um unseren kurzen Aufenthalt so lange wie möglich auszukosten, spazierten wir so lange durch das historische Stadtzentrum, bis wir uns sehr beeilen mussten, um noch rechtzeitig zum Bahnhof zu kommen. Moskau ist nicht Russland - das stimmt sicher, und es ist gut, sich das immer wieder vor Augen zu führen! Denn was würde man verpassen, wenn man sich bei einem Besuch nur auf die Hauptstadt beschränken würde!

 
(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
 
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