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Russland
 
Wenn die Straßenbahn am Ende doch ein Bus ist …

 
Moskau auf den Spuren großer Meister zu erkunden, ist durchaus keine Seltenheit. Spricht man aber davon, auf den Spuren „des Meisters“ zu wandeln, weiß jeder kulturinteressierte Hauptstädter sofort, worum es geht. In diesem Fall kann es sich nur um eine Führung handeln, die höchstwahrscheinlich am Gartenring beginnt, an einem Haus, das unter der Adresse „Große Gartenstraße 302‘“ in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Hier befindet sich nämlich das Michail Bulgakow gewidmete Museum, und die Wohnung Nr. 50 ist einer der Hauptschauplätze seines berühmten Romans „Der Meister und Margarita“. Unabhängig davon, dass diese Wohnung im Roman als „nicht geheuer“ beschrieben wird, zieht sie auch über 70 Jahre nach der Fertigstellung des Werkes noch immer viele Besucher an. Ähnlich erging es auch mir vor einigen Jahren, und ich war schon damals beeindruckt von dem ungewöhnlichen Museum mit dem noch ungewöhnlicheren Gästebuch. Seit den 1980er-Jahren hinterlassen nämlich viele Besucher ihre Botschaften in geschriebener und gezeichneter Form an den Wänden im Treppenhaus, und obwohl dieses regelmäßig von talentfreien Äußerungen  gesäubert wird, kommen immer wieder neue Nachrichten hinzu. Außerdem hängt bereits draußen, neben dem Eingang, ein Briefkasten mit der Aufschrift „Briefe an den Meister“.

 
Natürlich erfährt man in diesem Gebäude nicht nur vieles über den Schriftsteller selbst, sondern auch über den Roman, der als russischer „Faust“ und größter russischer Roman des 20. Jahrhunderts gilt. Darin spielt eine Straßenbahn der Linie „A“ gleich am Anfang eine bedeutende Rolle. Die erste Straßenbahn wurde in Moskau übrigens 1899 in Betrieb genommen, und zu Bulgakows Zeiten, also in den 1920er- und 1930er-Jahren gab es zwei Linien, die den beiden großen Straßenringen folgten – die Linie „A“ fuhr auf dem Boulevardring und die Linie „B“ auf dem Gartenring. Da auch heute noch einige Bahnen fahren, hat es mich zunächst auch gar nicht verwundert, als ich bei meinem damaligen Besuch in dem Museum eine Werbung für eine Straßenbahntour auf Bulgakows Spuren sah.

 
Seit dieser Zeit habe ich mir immer wieder vorgenommen, diese Exkursion einmal mitzumachen, doch bisher hatte es immer nicht geklappt. Nun aber wollte ich die Gelegenheit auf keinen Fall ein weiteres Mal ungenutzt verstreichen lassen, und dieser laue Sommerabend ist auch wie geschaffen dafür. Die Fahrt beginnt jedoch mit einer kleinen Enttäuschung, als ich sehe, dass die angepriesene Straßenbahn lediglich ein rot angestrichener Bus ist, der immerhin die symbolträchtige Nummer 302‘ trägt. Mit ein wenig logischer Überlegung hätte ich allerdings auch selbst dahinterkommen können, dass es im Moskauer Stadtzentrum, in dem keinerlei Straßenbahnschienen mehr liegen, schwierig werden könnte, eine echte Straßenbahn fahren zu lassen. Insofern ist der Bus eine mehr als gangbare Alternative, und die Tatsache, dass auch kleinere Gässchen zum Besichtigungsprogramm gehörten, entschädigt mich vollauf.
 
Die Führung bringt uns sowohl zu Stationen des Lebens des Schriftstellers – Häusern, in denen er gelebt oder gearbeitet hat oder einfach häufig zu Gast war, dem Puschkin-Theater, in dem seine Werke aufgeführt wurden – aber auch zu jenen Orten, denen er als profunder Kenner Moskaus durch seinen Roman zu Berühmtheit verholfen hat. In den meisten Fällen sind es nicht die typischen Stationen einer gewöhnlichen Stadtrundfahrt, sondern eher versteckte Orte, deren Namen und die sdamit verbundenen Handlungsstränge Liebhabern des „Meisters“ und seiner literarischen Entourage jedoch nur allzu vertraut sind.

 
Der Abend klingt im Museum aus, und spätestens in diesem Moment nehme ich mir vor, die Werke Bulgakows, die ich bisher nur dem Namen nach kannte, unbedingt auch noch zu lesen.

(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
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