Mehr Freud als Leid für
Fotografen
Vor ziemlich genau zwei Jahren habe ich mich in einer meiner
Reiseskizzen darüber beklagt, dass man in Moskau beim Fotografieren häufig auf
Unwägbarkeiten stößt, die einem den Spaß an den Aufnahmen gründlich verleiden
können: Oberleitungen, Bauzäune, Gerüste und so weiter und so fort.
Häufig, wenn ich eigentlich woandershin unterwegs war,
tauchte in meinem Blickwinkel etwas auf, das unbedingt fotografiert werden
musste und das ich vorher noch nie gesehen oder bemerkt hatte.
Eines der ungewöhnlichen Gebäude hätte ich zugegebenermaßen
fast gar nicht in seiner ganzen Pracht wahrgenommen, weil ich annahm, es würde
sich um eine eher neuere Laune eines betuchten „Businessman“ handeln. Zu sehr
erinnerte es mich an opulent ausstaffierte chinesische Restaurants, wie sie
auch in Deutschland nicht selten zu finden sind. Was jedoch das Teehaus in der
Mjasnizkaja-Straße erheblich von ihnen unterscheidet, ist die Entstehungszeit.
Dieses Gebäude wurde nämlich bereits 1895/96 von dem bekannten Architekten Karl
Hippius im pseudochinesischen Stil umgebaut, bevor es nach der
Oktoberrevolution zu einem Wohnhaus mit Gemeinschaftswohnungen, den
berühmt-berüchtigten „Kommunalkas“ umfunktioniert wurde. Nach der Jahrtausendwende
allerdings wurde es aufwändig restauriert und beherbergt nun wieder ein Geschäft
für den gehobenen Tee- und Kaffeegenuss.
Auch ein anderes Haus versteht es, einen immer wieder mit
neuen Figuren, Schmuckelementen und Mosaiken zu überraschen - einerseits, wenn
man direkt davor steht, andererseits aber auch später, beim Blick auf die
Fotos, weil man gar nicht gleich alle Details erfassen kann. Es befindet sich
fast unmittelbar am Ufer der Moskwa und wurde 1907 erbaut. Es war von Anfang an
als Mietshaus für die kreative Intelligenz gedacht. So wurde es besonders
ungewöhnlich gebaut und reich verziert, um möglichst viele Maler und andere
Künstler als Mieter anzulocken. Es wurde ein Architektenwettbewerb
ausgeschrieben, in dessen Jury bekannte Maler und Architekten jener Zeit tätig
waren. Die Bedingung war, ein Haus zu bauen, das „dem Geist und den
Überlieferungen Moskaus entsprechen und die Anforderungen der Gegenwart“
erfüllen sollte. So wurde das Gebäude im neorussischen Stil gebaut, und der
Besitzer Pjotr Perzow zog selbst mit seiner Familie ein und vermietete den
größten Teil der Wohnungen. Zu unterschiedlichen Zeiten lebten hier Maler wie
Natan Altmann, dessen Porträt der Dichterin Anna Achmatowa wohl sein
bekanntestes Werk ist und von ihr selbst in einem Gedicht erwähnt wird, und
Alexander Kuprin. Auch das Kabarett „Die Fledermaus“, eines der ersten und
besten Kammertheater Russlands, hatte in den Jahren 1908/09 hier sein Domizil. Nach
der Verstaatlichung zog Leo Trotzki in das „Haus mit den Chimären“, wie das
Haus der Sinaida Perzowa auch genannt wird, und in den 1930er-Jahren war es für
den Abriss vorgesehen, weil es dem Park vor dem geplanten „Palast der Sowjets“
weichen sollte. Da dieses Projekt nie ausgeführt wurde, ist auch das Haus zum
Glück erhalten geblieben und wird nun vom Außenministerium für die Belange von
Diplomaten genutzt.
Doch nicht nur an den Außenfassaden von Häusern kann man viel
Fotogenes entdecken, manchmal lohnt sich auch ein Blick ins Innere wie etwa
beim Zentralen Kinderkaufhaus, das früher unter dem Namen „Detski mir“ bekannt
war. Das Gebäude wurde 1957 eröffnet und 2005 zum Kulturerbe erklärt. Nach
einem Besitzerwechsel wurde es 2015 als Zentrales Kinderkaufhaus
wiedereröffnet, wobei die Bezeichnung „Detski mir“ beim ursprünglichen Eigentümer
verblieben ist und nun für eine andere Ladenkette steht. Das Zentrale
Kinderkaufhaus aber verfügt über ein Atrium, das viel zu bieten hat: eine Uhr,
von der die Betreiber sagen, sie zähle zu den fünf größten Uhren der Welt,
sowie Glasmalereien, die Bilder des russischen Märchenillustrators Iwan Bilibin
zeigen. Hier sieht man nun Iwan den Zarensohn mit dem Feuervogel, die vierzig
Recken und Jemelja aus dem Märchen „Auf des Hechtes Geheiß“.
Tritt man wieder auf die Straße hinaus, sieht man gegenüber
das Hotel „Metropol“ und kann seinen Spaziergang durch die Geschichte der
russischen Malerei des 20. Jahrhunderts gleich fortsetzen. Neben vielen anderen
Bildern auf Keramikfliesen findet sich hier nämlich auch das berühmte Gemälde
„Die Traumprinzessin“ von Michail Wrubel, das im Original im Wrubel-Saal der
Tretjakow-Galerie hängt. Nachdem es erst bei der Akademie der Künste und im
Zuge dessen auch beim Publikum durchgefallen war, beschloss der berühmte
Kunstmäzen Sawwa Mamontow, auf dessen Initiative das Hotel gebaut wurde, es
hier für alle sichtbar anzubringen und machte das Werk so, wie es heißt, zum
bekanntesten Gemälde von Moskau.
Auch Liebhaber der Bildhauerei kommen im Moskauer Stadtbild
auf ihre Kosten. An den Patriarchenteichen, die eigentlich durch den Roman „Der
Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow berühmt geworden sind, findet man
ein Denkmal für die Fabeldichter Krylow, zu dem sechs Bronzestelen gehören, auf
denen jeweils von beiden Seiten insgesamt zwölf seiner Fabeln als Relief
dargestellt sind. Was gibt es dort nicht alles zu sehen: „Der Affe und die
Brillen“, „Der Wolf und das Lamm“, „Der Esel und die Nachtigall“, „Der Elefant
und der Mops“.
Außerdem sind mir nun auch Figuren nichtrussischer Herkunft
aufgefallen. Nach manchen musste ich allerdings regelrecht suchen oder bin,
nachdem ich sie in einem Reiseführer gesehen hatte, extra hingefahren. So aber
kam ich an einem und demselben zu einem Stelldichein mit Münchhausen, Sherlock
Holmes und Doktor Watson, und auch mit Hodscha Nasreddin, dem orientalischen Schelm.
Selbst Burattino, die russische Version des Pinocchio, ist überlebensgroß im
Park „Museon“ zu finden und lädt ein, sich zu ihm zu setzen und ein gemeinsames
Foto zu machen. Jede einzelne der Figuren ist so
liebevoll gestaltet, dass man unweigerlich Lust bekommt, sich die Gedichte und
Erzählungen, aus denen sie stammen, noch einmal genauer zu Gemüte zu führen,
und ich denke, das ist das Beste, was mit Skulpturen dieser Art erreicht werden
kann.