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Russland
 
Moskau musikalisch

Wenn sich zwei Musikbegeisterte auf den Weg machen, kann sich meist mindestens ein Dritter darüber freuen, nämlich der oder die Künstler, die auf diese Weise ihr Publikum um immerhin zwei Personen erweitert sehen. In diesem Fall waren das Timur, Moskauer mit Leib und Seele, und ich, obwohl das beim Moskauer A-cappella-Frühling keineswegs nötig war, denn zumindest am Sonntag, dem letzten Tag des zwölftägigen Festivals, fanden sich vor jeder der unzähligen kleinen und großen Bühnen im Stadtzentrum unzählige Menschen ein und lauschten den Künstlern aus Nah und Fern. Diese Formulierung ist hierbei wirklich wörtlich zu nehmen, denn der Moskauer A-cappella-Frühling ist ein internationaler Wettbewerb.

Ich hatte bereits vor zwei Jahren überall die Plakate hängen sehen, als das Festival zum ersten Mal stattfand. Leider war ich damals einige Tage zu spät nach Moskau gekommen, und deshalb freute ich mich nun umso mehr, wenigstens noch einige der Auftritte mitzuerleben. Ich muss zugeben, dass meine Vorstellungen von A-cappella-Musik relativ festgefügt waren, hatte ich doch in Deutschland schon Gruppen wie die Wise Guys, Viva Voce oder nun die Alten Bekannten gehört und erlebt. Deshalb war für mich auch völlig klar: A-cappella-Gruppen bestehen aus ungefähr fünf Leuten und singen mehrstimmig meist moderne Musik. Letztendlich war es ja auch das, was seinerzeit die Comedian Harmonists, die Urväter des deutschen A-cappella-Gesangs, auszeichnete.

Blieb also nur noch zu hoffen, dass auch die Texte originell sein würden, und einem entspannten, wenn auch musikalisch relativ vorhersehbarem Musikgenuss würde nichts mehr im Wege stehen. Wie hatte ich mich doch getäuscht! Aufgrund der Vielzahl der verschiedenen Freilichtbühnen war es uns gar nicht möglich gewesen, eine konkrete Laufroute festzulegen, deshalb hatten wir uns für ein gemütliches nachmittägliches Mäandern entschieden, und die Eindrücke, die wir dabei sammelten, hätten unterschiedlicher kaum sein können.

Die erste Darbietung schallte von einem Balkon auf die Zuschauer herunter und klang nach der Solodarbietung eines Männerchores, bei der allerdings der Chor fehlte. Ein älterer Herr sang voller Inbrunst und mit offensichtlich ausgebildeter Stimme russische Volkslieder von „Katjuscha“ bis hin zum Lied der Wolgaschlepper und wirkte auf mich ein wenig, als hätte er besser in die Programme zum Tag des Sieges gepasst, der drei Tage zuvor begangen worden war.

Da wir ohnehin nicht vorgehabt hatten, an dieser Stelle länger zu verweilen, gingen wir nach drei Liedern weiter und bewegten uns in Richtung des Roten Platzes, das heißt, eigentlich eher in seine Nähe, denn die nächsten Auftritte der Künstler erwarteten uns am Zugang dazu, gegenüber dem Bolschoi-Theater. Nachdem wir uns dort durch alle Souvenir- und Imbissstände zur Bühne vorgekämpft hatten, hörten wir nun das, was ich mir bis dato immer unter A-cappella-Musik vorgestellt hatte, in diesem Fall vorgetragen vom Chor des Moskauer Colleges für Improvisationsmusik. Dieses Ensemble war das ganze Gegenteil des Balkonsängers zuvor, denn hier standen deutlich mehr Sänger auf der Bühne, als ich es mir vorgestellt hatte. Auch wenn nicht jeder Ton ganz sauber saß, vermochten es die jungen Leute, das Publikum mitzureißen, und Leonard Cohens „Hallelujah“ darf nun einmal bei einer Veranstaltung dieser Art nicht fehlen.

So, wie wir uns von einer Bühne zur anderen treiben ließen, glich dieser Nachmittag auch einer Wanderung durch die verschiedenen Spielarten des A-cappella-Genres, und dabei haben wir die geistliche Musik der kirchlichen Gruppen, die ebenfalls vertreten waren, noch nicht einmal gestreift. Meine nächste Horizonterweiterung war der Auftritt von Sonya Singleton, einer jungen Künstlerin, die mit Hilfe eines programmierbaren Keyboards nach und nach die Töne für den kompletten Backgroundgesang aufnahm und sich zum Schluss eines jeden Liedes dem Publikum als Ein-Mann-a-cappella-Band präsentierte.

Bei manchen Künstlern bin ich mir mittlerweile gar nicht mehr sicher, ob sie zum Programm des Festivals gehörten oder einfach auf dieser Welle mitschwammen. So gehört Alex Streetdrums sicher nicht zum A-cappella-Bereich, unterhaltsam waren seine Auftritte aber dennoch.

Den krönenden Abschluss bildete für uns die New Yorker Gruppe Blue Jupiter, deren Sängerin nach jedem Lied betonte, dass es „so exciting“ sei, in Moskau zu singen. Immerhin hat die Gruppe in ihrer Kategorie, „Kleine Vokalgruppe“, den Publikumspreis erhalten.


Nachdem der letzte Ton verklungen war und wir genügend Eindrücke von diesem spannenden und auch ungewöhnlichen Festival gesammelt hatten, war unser Ausflug in die Welt der Musik jedoch noch nicht beendet, denn Timur wollte mir unbedingt noch einige Komponisten-Denkmäler zeigen, die in den letzten Jahren neu aufgestellt worden waren.

Natürlich kannte ich das Tschaikowski-Denkmal vor dem Konservatorium, stellte jedoch während unseres Spazierganges fest, dass ich bestimmt schon zwanzig Jahre nicht mehr in dieser Gegend gewesen war. Inzwischen waren einige Denkmäler hinzugekommen: für Mstislaw Rostropowitsch, der natürlich mit seinem Cello dargestellt ist, für Aram Chatschaturjan und für Sergei Prokofjew, dem direkt neben dem Denkmal auch ein Museum in seinem ehemaligen Wohnhaus in der Kamergerski-Gasse gewidmet wurde. Da ich Werke der beiden Letzteren gerade wenige Wochen zuvor in einem hervorragenden Konzert im Berliner Konzerthaus gehört hatte, interessierten mich diese Statuen natürlich besonders.

Da einige der Denkmäler in ruhigen Gassen oder, wie im Fall Rostropowitschs, in einem Park gelegen waren, fand unser sehr ereignisreicher musikalischer Spaziergang durch das Moskauer Stadtzentrum auf diese Weise noch einen schön besinnlichen Ausklang. Der Moskauer A-cappella-Frühling aber hat mir gezeigt, wie vielfältig dieses Genre sein kann, und ich hoffe sehr, auch in den nächsten Jahren irgendwann einmal wieder genau zu dieser Zeit in Moskau zu sein, um dieses Festival auch weiterhin verfolgen zu können.

 
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