- Literatur - Reiseblog

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Reisen
 
Da es coronabedingt im Moment schwierig ist zu reisen und damit auch zu neuen Reiseeindrücken zu kommen, habe ich beschlossen, wieder etwas für die Rubrik „Reisen im vorigen Jahrtausend“ zu tun und alle, die es möchten, an meinen Eindrücken von Fahrten mit dem Interrail-Ticket teilhaben zu lassen, die nun schon fast 30 Jahre zurückliegen. Deshalb werde ich in den nächsten Wochen hier mein damaliges Tagebuch veröffentlichen – mit all den Erfahrungen und Begegnungen, die damals für mich bedeutsam waren und mich zum Teil für mein weiteres Leben geprägt haben.

 
Amsterdam, 02.09.1991 (Montag)

 
da wären wir nun also angekommen an der ersten Zwischenstation unserer Reise, die sicherlich in den nächsten Wochen nur aus Stippvisiten dieser Art bestehen wird, und auf dem Weg ins Blaue. Gestartet sind wir heute früh um 0:22 Uhr vom Hauptbahnhof aus, um dann gegen 7:30 Uhr in Bad Bentheim völlig verschlafen in den Anschlusszug zu fallen.

 
Vorher allerdings hatte ich noch eine sehr interessante Begegnung mit einer Engländerin, die gerade auf der Heimreise war und vorher drei Wochen, genau zur Zeit des Putsches, in der Sowjetunion, größtenteils in Minsk, verbracht hatte. Sie reiste gemeinsam mit ihrem Vater, der mittlerweile 76 Jahre alt ist und selbst aus Weißrussland stammt. Während des Zweiten Weltkrieges war er in Gefangenschaft geraten und dann nach England gezogen. Nun war er seit 53 Jahren das erste Mal wieder in seiner Heimat gewesen. Diese Unterhaltung konnte allerdings, so interessant sie auch war, nicht allzu lange ausgedehnt werden, da wir alle – sowohl die Engländer als auch wir – rechtschaffen müde waren und der Schlaf seinen Tribut forderte.

 
Richtig wach wurde ich eigentlich erst wieder gegen 9:00 Uhr durch die freundliche Stimme eines holländischen Fahrkartenkontrolleurs. Kurz vor zehn sind wir dann auf der uns bereits vom vorigen Jahr her wohlbekannten Centraal Station von Amsterdam gelandet. Anderthalb Stunden später waren unsere Zelte wieder in Vliegenboes aufgebaut, als wären wir nicht ein knappes Jahr lang weg gewesen. Dann ging‘s erst einmal zu Fuß in Richtung Zentrum, denn die Fahrpreise sind hier leider noch genauso hoch wie 1990. Fahrräder auszuleihen hätte sich für den angebrochenen Nachmittag ohnehin nicht mehr gelohnt, also blieb uns nichts weiter übrig, als die Stadt per pedes aufs Neue zu erkunden, was aufgrund verschüttet gegangener Ortskenntnis und mangelnder Sprachbeherrschung dann auch mit Umwegen und Abschweifungen verbunden war.

 
Die Stadt selbst hat sich nicht wesentlich verändert, abgesehen davon, dass sie vielleicht noch ein bisschen bunter ist was die hier vertretenen Kulturen betrifft (das allerdings kann auch am Ende der Saison liegen), dass sie ihr Image als Drogenumschlagplatz stellenweise noch offensichtlicher zur Schau stellt, dass sich die Gebiete mit den roten Lichtern im Stadtzentrum augenscheinlich vermehrt haben bzw. die entsprechenden Damen nicht einmal mehr im Schaufenster, sondern direkt vor ihren Gewerberäumen um Gunst und Geld der Kunden werben. Gegen 16:30 Uhr waren wir dann (diesmal mit regenerierter Ortskenntnis) zurück auf dem Zeltplatz, und der Rest der Zeit wurde verschlafen bzw. verabendbrotet.

 
Anschließend machten wir uns noch einmal auf den Weg: ein Teil unserer kleinen Gruppe in den Wald, und wir schlenderten noch ein bisschen die Straße vor dem Zeltplatz entlang. Dabei ist uns aufgefallen, dass die Wohnzimmer der Leute, die im Parterre wohnen, riesengroße Fenster genau in Richtung Straße haben. Die Tatsache, dass die Gardinen dabei ziemlich spärlich gehalten sind, erhöht den Schaufenstereffekt noch, was den Leuten aber offensichtlich nichts ausmacht. Eigentlich eine ganz gemütliche Art zu leben! Nach dem Spaziergang fielen wir dann rechtschaffen müde in unsere Schlafsäcke.
 
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