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Saint-Jean-du-Gard, 13.09.1991 (Freitag)

 
Da heute Freitag der 13. ist und alle unsere Vorhaben dementsprechend entweder aufgrund objektiver Schwierigkeiten oder wegen subjektiven Unwillens zur Investitionen beträchtlicher finanzieller Mittel gescheitert sind, bleibt mir jetzt etwas Zeit, einige Eindrücke über Frankreich im Allgemeinen zu beschreiben, die wir in den letzten knapp zehn Tagen gewonnen haben.

 
Da wären zunächst einmal die Campingplätze, die wie alles hier in eine ein-bis-vier-Sterne-Rangordnung eingeteilt sind. Im Moment befinden wir uns allerdings auf einem Null-Sterne-Zeltplatz, der dem von Avignon, der sich immerhin mit dreien brüstete, in nichts nachsteht. Im Gegenteil, er ist gemütlicher, da er nicht auf den sonstigen Massentourismus ausgerichtet ist. Das macht auch einen der wesentlichen Unterschiede zwischen diesen „Campings“ aus: In großen Städten bzw. Touristenzentren findet man, ebenso wie in Amsterdam, Prag und anderen Metropolen, Zeltplätze, die Hunderten Personen mit Zelten oder Wohnwagen Platz bieten und dementsprechend anonym sind. In Sète und auch hier sind wir aber auf Campingplätzen untergekommen, die direkt in Wohngegenden des jeweiligen Ortes liegen und sich unmittelbar (etwa wie ein größerer Garten) an das Einfamilienhaus der Besitzer anschließen, das gleichzeitig die Rezeption darstellt. Hierfür findet man in den Campingführern eine Kapazität zwischen 6 und 50 Zelten verzeichnet, was natürlich eine wesentlich individuellere Atmosphäre zur Folge hat.

 
Was sowohl für kleinere Campingplätze als auch für den großen Teil anderer Einrichtungen, wie Geschäfte, Restaurants usw., zutrifft, ist die Tatsache, dass man möglichst mindestens so viel Französisch können sollte, dass es für eine – wenn auch notdürftige – Verständigung ausreicht, da Französisch hier bis heute als die Sprache aller Sprachen angesehen und auf Touristen diesbezüglich keinerlei Rücksicht genommen wird. Das ist auch nicht unbedingt notwendig, da 85 % der Franzosen ihre Ferien ohnehin im eigenen Land verbringen und damit im Urlaubsgeschäft die Hauptpersonen sind. Schon Kurt Tucholsky stellte seinerzeit fest: „Frankreich stellt sich nicht hin und ruft: Seht! Wie schön ist es bei mir! Kommt einmal alle hierher! Nein, wenn du die Schönheit des Landes aufsuchen willst, dann musst du sie suchen – findest du sie, ist es gut; findest du sie nicht, ist‘s den Franzosen auch gleich.“ Diese Lebensart widerspiegelt sich auch in diversen in Fremdsprachen abgefassten Prospekten, Aufschriften etc. Da wird aus der Papststadt Avignon eine „Papstadt“, man bekommt am Imbissstand „Steacks“ statt Steaks usw. und so fort.

 
Der Nationalstolz der Franzosen begegnet einem hier auf Schritt und Tritt, meist in Gestalt der Trikolore. Entweder sie hängt als Wimpel am Innenspiegel eines Reisebusses, oder es begegnet einem ein zwar altes und kleines, dafür aber blau-weiß-rot lackiertes Auto, oder es werden mitten im Supermarkt Haarspangen in diesen Farben verkauft.

 
Da es inzwischen aber doch recht spät geworden ist, möchte ich das Thema „Französischer Patriotismus“ erst einmal abschließen und morgen noch mehr über Frankreich im Allgemeinen schreiben. Eins bliebe allerdings noch nachzutragen: Nationalstolz hin, Patriotismus her, auch im „Hexagon“, wie Frankreich wegen der Ähnlichkeit seiner Fläche mit einem Sechseck oft genannt wird, schwelen Nationalitätenkonflikte. Da gibt es die Okzitanier, die Provençalen, Katalanen, Bretonen, Basken und … und … und … und teilweise wird in Zeitschriften sogar schon die Befürchtung laut, auch in Frankreich könnte es zu denen in der Sowjetunion ähnlichen Zuständen kommen. Diese Angst ist zwar bisher im täglichen Leben noch nicht zu spüren, wird aber von extremistischen Organisationen wie der baskischen ETA geschürt, die bereits Karten eines in viele kleine, nach Nationalitäten gegliederte, Gebiete geteilten Frankreichs veröffentlichen.
 
 
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