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Kroatien
 
 
 
Kein Restaurant wie jedes andere

 
Der Anfang dieser Geschichte liegt bereits ein Jahr zurück. Wir waren gerade in Jezera auf der kroatischen Insel Murter angekommen und versuchten, uns in der für einen so kleinen Ort ungewöhnlichen Fülle der Restaurants zu orientieren. Einen einladenden Eindruck machten sie alle, das Angebot auf den Speisekarten war genau das, was wir gesucht hatten, doch auch darin ähnelten sich die meisten Restaurants zumindest auf den ersten Blick. Da alle Terrassen gut besucht waren, war nicht einmal das ein Indiz für qualitative Unterschiede.

 
Eines aber fiel spätestens auf den zweiten Blick auf: Auf einer Terrasse wurde bedeutend mehr gelacht als auf den anderen. Als wir näher kamen, sahen wir auch den Grund dafür. Dieses Restaurant hatte offensichtlich den unterhaltsamsten Kellner weit und breit. Das zog uns natürlich geradezu magisch an, aber da waren wir nicht die Einzigen. Für diesen Abend war beim besten Willen kein Platz zu bekommen, und so lernten wir gleich eine Lektion, die wir von da an in Jezera immer beherzigt haben – wenn man weiß, wo man essen möchte, empfiehlt es sich immer, vorher einen Tisch zu bestellen.

 
Das taten wir und lernten auf diese Weise am nächsten Abend Marijo Bura kennen: immer für einen Spaß zu haben, mit besten Gastgeberqualitäten und in mindestens drei Fremdsprachen sattelfest – Deutsch, Englisch und Italienisch. Zunächst haben wir aufgrund seines Einsatzes für das Restaurant angenommen, er gehöre zur Familie der Inhaber. Schließlich brachte er schon damals immer wieder Olivenöl und auch Schnaps, die sein Vater selbst hergestellt hatte und denen man ebenfalls die Liebe zur Perfektion anmerkte. Erst in einem späteren Gespräch erzählte er uns, dass er jeweils nur saisonweise in diesem Restaurant angestellt war.

 
Es war die Zeit der Olympischen Spiele in Rio, und so lief ohnehin in fast jedem Restaurant ein Fernseher, damit man die für Kroatien wichtigsten Entscheidungen mit verfolgen konnte. Dass die Ballsportarten dabei eine besondere Rolle spielen, weiß jeder, der dieses Land schon einmal besucht hat. Seit wir das erste Mal in Kroatien waren und bei unserem Ausflug nach Split den Jubel mitbekommen hatten, als Kroatien bei der Olympiade in Athen Deutschland im Handball geschlagen hatte, achte auch ich bei Meisterschaften mit besonderer Sympathie auf alle Mannschaften in den rot-weiß karierten Trikots.

 
Für Marijo aber dreht sich sportlich alles um Fußball. Um das herauszufinden, reichte es, ihn zu beobachten, als auf dem sonst olympisch geprägten Bildschirm ein Spiel von Hajduk Split lief. Er schaffte es, ohne das Servieren zu vernachlässigen, einerseits selbst auf dem Laufenden zu bleiben und andererseits auch die umsitzenden Gäste durch seine Kommentare mit einzubeziehen, und so hatten wir alle unseren Spaß.

 
In diesem Jahr nun ergab es sich, dass wir zur besten Geschäftszeit der Restaurants wieder an unserem Urlaubsort ankamen. Da die Fahrtstrecke genau über die Flaniermeile des Dörfchens führt, hielt ich sofort Ausschau nach bekannten Gesichtern und versuchte auch, in dem Restaurant Marijos vertrautes gestreiftes Seemanns-T-Shirt und die schwarze Hose auszumachen, aber – Fehlanzeige! Auch an den nächsten Tagen tauchte er nicht dort auf, und wir mussten uns wohl oder übel mit dem Gedanken anfreunden, dass er offensichtlich eine andere Stelle gefunden hatte. Aus alter Verbundenheit gingen wir noch zweimal in das Restaurant vom vergangenen Jahr, aber es war bei Weitem nicht mehr dasselbe. Die Herzlichkeit und die Fröhlichkeit waren verschwunden.

 
So gingen wir weiter in die anderen Restaurants, in denen es uns von Anfang an gut gefallen hatte und futterten uns nach und nach durch fast alle Gaststätten der Hauptstraße von Jezera. Eine von ihnen war jedoch immer wieder etwas aus unserem Blickwinkel geraten, weil sie ganz am Ende der Straße lag. Dennoch wollten wir sie nicht auslassen und beschlossen, dort einen Tisch für Mariä Himmelfahrt zu reservieren. Immerhin lag das Restaurant strategisch günstig nahe am Marktplatz, sodass man auch dort etwas von der Musik mitbekommen würde, die zu solchen Anlässen immer live zu erleben ist.

 
Ich ging also am späten Abend auf den Kellner zu, der sich auf der Terrasse befand, erklärte ihm, für wann ich gern einen Tisch für drei bestellen wollte – und traute meinen Augen nicht! Hinter ihm tauchte auf einmal in voller Größe und Schönheit Marijo auf! Nun nicht mehr mit dem Streifen-Shirt, sondern seriös im weißen Hemd, aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht: „Tja, Marijo hat ein neues Restaurant!“ Die Wiedersehensfreude bei uns war groß, und auch bei ihm schien sie wirklich aufrichtig zu sein. Regelrecht sprachlos machte er mich, als er unseren Sohn mit den Worten begrüßte: „Hallo, du trinkst doch so gern Limonade, stimmt’s?!“

 
Für den Rest unseres Urlaubs verbrachten wir mindestens jeden zweiten Abend bei Marijo, und wenn wir ein bisschen nach der abendlichen Stoßzeit kamen, blieb zum Glück auch ab und an Zeit für das eine oder andere Gespräch, die ich auf keinen Fall missen möchte. (Dass der wunderbare Schnaps von Marijos Vater bei diesen Gesprächen natürlich mit von der Partie war, ist ein zusätzlicher Glücksumstand.) Marijo erzählte uns, wie er das Restaurant eröffnet hat, dessen Inhaber er nun tatsächlich war, und was für ihn dabei im Vordergrund stand.

 
Es war immer sein Traum gewesen, ein eigenes Restaurant zu haben, und das merkt man sowohl an kleinen Details als auch am großen Ganzen. Die Konoba „Berekin“ unterscheidet sich nämlich tatsächlich von den anderen Gaststätten in Jezera. „Konoba“ heißen all diese Restaurants in Kroatien, „berekin“ bedeutet so viel wie Spaßvogel, und einen treffenderen Namen hätte man wohl kaum finden können, auch wenn man sofort merkt, dass Marijo seine Arbeit sehr ernst nimmt. So hat er, der Kellner aus Berufung, sein sehr junges Küchenpersonal noch vor Beginn der Saison vom Küchenchef eines 4-Sterne-Hotels schulen lassen, und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Die Gerichte sind genau um den Tick raffinierter und ausgeklügelter, der das gewisse Etwas ausmacht. Im „Berekin“ gibt es eben nicht nur Tintenfische vom Grill, hier sind sie gefüllt, man bekommt Thunfisch-Prosciutto und fantastischen Oktopussalat, die Kaisergranaten vom Grill sind ein Gedicht, und wie jedes einzelne Gericht angerichtet ist, ist wirklich die hohe Schule. Davon kann man sich übrigens auch anhand der Fotos auf der Facebook-Seite des Restaurants überzeugen. Für einige der Zutaten fährt er extra regelmäßig nach Split zum Einkaufen, weil es sie im näheren Umkreis einfach nicht gibt. Übrigens – wenn Marijo einem bei der Bestellung verkündet: „Ich habe eine bessere Idee!“, sollte man sich unbedingt darauf einlassen. Wir haben es nie bereut, denn er weiß wirklich, was er tut.

 
Doch nicht nur das Essen ist hier etwas Besonderes, die Atmosphäre ist es ebenfalls. Wenn Marijo seine Gäste mit „Guten Abend, liebe Freunde!“ begrüßt, weiß man, dass er es genau so meint! Er nimmt nie so viele Reservierungen an, dass er Gäste schneller bedienen muss als nötig, um den Tisch frei zu bekommen, denn sein Credo ist bei aller Perfektion: „Geld ist nicht das Wichtigste im Leben! Das Wichtigste ist das Herz. Dann die Familie. Und als Drittes …“ (hier folgte wieder sein breites Grinsen) „… Hajduk Split!“ So hat es mich auch viel weniger verwundert als aufrichtig gefreut, als ich ein großes Schild las, auf dem stand, dass zwei Tage später das Lokal geschlossen bleiben würde, weil die gesamte Belegschaft zum Qualifikationsspiel von Hajduk Split für den Europapokal geht.

 
Wenn man dann noch wenigstens einmal gesehen hat, wie Marijo kurz vor Geschäftsschluss mit den Kindern seiner Gäste von der Terrasse seines Restaurants aus über die halbe Straße ganz spontan Fußball spielt, weiß man: Genau so, wie Hajduk Split für ihn mehr als ein Klub ist, ist die Konoba „Berekin“ definitiv mehr als ein Restaurant!

 
Nach den wunderbaren Abenden, die wir dort verlebt haben und an denen Marijo uns sein Land mit allem, was er uns auch über die Geschichte und Kultur Kroatiens erzählt hat, wesentlich näher gebracht hat, waren wir natürlich traurig, als der Urlaub zu Ende ging. Aber wir waren glücklich, wieder einen Menschen gefunden zu haben, der so für seine Sache brennt und auf diese Weise für eine wunderbare Verständigung über Ländergrenzen hinweg sorgt. Danke, Marijo, und bis zum nächsten Mal!
 
 
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