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Kroatien
 
Gar nicht so klein und doch ein Geheimtipp

 
„Die Perle der Adria“, „die Perle der Ägäis“, „die Perle der Riviera“ – viele Städte nehmen dieses Attribut gern für sich in Anspruch, und, genau betrachtet, gleicht so wohl die gesamte Mittelmeerküste einer Perlenkette; ein Bild, das mir eigentlich sehr gut gefällt. Gemeinsam ist diesen Städten natürlich die Architektur aus weißem Marmor oder Kalkstein, die in vielen Fällen bis auf die Antike zurückgeht, und auch das spricht für den Vergleich mit den Perlen. Manchmal aber hat man das Gefühl, die eine oder andere von ihnen liege noch ein wenig in der dazugehörigen Auster versteckt und warte darauf, gefunden zu werden. Genau in diese Kategorie würde ich Šibenik einordnen, denn seine Auster, um bei dem Bild zu bleiben, ist nur von der Mündung des Flusses Krka ins Mittelmeer her geöffnet, während man ansonsten die eher raue und graue Austernschale zu Gesicht bekommt.

 
Wie viele Städte in Dalmatien, kann auch Šibenik mit der Einordnung als UNESCO-Weltkulturerbe punkten, jedoch bezieht sich hier der begehrte Status auf eine konkrete Sehenswürdigkeit, und diese allein ist es wert, die Stadt auf keinen Fall links liegen zu lassen: die St.-Jacobs-Kathedrale, erbaut am Übergang von der Gotik zur Renaissance und damit an den Ausläufern des Mittelalters zur Neuzeit.  In schlichtem Weiß gehalten wie die meisten Kirchen dieser Gegend, bieten sich hier dem aufmerksamen Betrachter innen wie außen wahre Schmuckstücke der Baukunst und der Bildhauerei. Dass diese von verschiedenen Meistern unterschiedlicher Generationen geschaffen wurden und dennoch perfekt miteinander harmonieren, war einer der Gründe, warum die Kathedrale in die berühmte Welterbe-Liste aufgenommen wurde.

 
Da ich ein besonderes Faible für Skulpturen aller Art habe, haben es mir die Werke eines Meisters besonders angetan: Juraj Dalmatinac (1410-1475) aus Zadar, der auch schon in Venedig tätig gewesen war und deshalb auch unter seinem Namen in der italienischen Form, Giorgio da Sebenico, bekannt ist. Ihm verdankt die Kirche die Verschmelzung von Gotik und Renaissance, er zeichnete unter anderem für den Altarraum und die markante Kuppel verantwortlich. Beides sieht man in der Regel nur von Weitem, da der Altar wie auch in anderen Kirchen nicht für Besucher zugänglich ist. Einen wesentlich genaueren Blick auf das Werk Meister Jurajs kann man jedoch im Baptisterium werfen, in dem er nicht nur das Taufbecken mit den Putten und den üppigen gotischen Reliefschmuck im Deckengewölbe geschaffen hat, sondern auch vier mit Muscheln überwölbte Nischen, die auf den Beginn der Renaissance hindeuten. An der Außenfassade der Kathedrale findet sich eine höchst ungewöhnliche Porträtgalerie: Über 70 lebensgroße Plastiken von Köpfen, die Zeitgenossen des Bildhauers darstellen, ziehen sich als Fries um das Kirchengebäude. Sie sind so faszinierend in ihrer Verschiedenartigkeit, dass man tatsächlich auf Entdeckungsreise in diese andere Zeit gehen kann.

 
Doch auch andere Besonderheiten findet man in der Bildersprache der Kathedrale. Sowohl im Kirchenschiff als auch an der Fassade trifft man auf Darstellungen von Löwen, die mich sehr stark daran erinnert haben, was ich vor vielen Jahren in London bei einer Stadtführung gehört hatte. Dort wurde uns erklärt, dass die Löwen auf dem Trafalgar Square deshalb etwas seltsam aussähen, weil der Bildhauer noch nie in seinem Leben einen echten Löwen gesehen habe. Auch wenn das für die Londoner Löwen wohl nicht ganz zutrifft, könnte ich es mir bei den Löwen in und an der Kathedrale von Šibenik durchaus vorstellen, so wenig Ähnlichkeit haben sie mit dem König der Tiere, wie wir ihn kennen. Ruft man sich ins Gedächtnis, zu welcher Zeit all das entstanden ist, könnte das eine Erklärung dafür sein, warum die vier Löwen in der Kirche eher aussehen wie Katzen, die mit ihrer langen Haarpracht unzufrieden sind, und warum die beiden an der Fassade etwas onduliert wirken.

 
Folgt man anschließend den engen und zum Glück nicht überlaufenen Gässchen der Altstadt von Šibenik und nimmt in Kauf, dass man viele Treppen steigen muss, weil sich die Stadt an einen Berghang schmiegt, kann man noch weitere Refugien entdecken, wie etwa den Klostergarten des Hl. Laurentius, der noch heute als Kräutergarten betrieben wird und in dem man durchaus ein schattiges Plätzchen findet.

 
Von der Festung des Heiligen Michael aus, deren älteste erhaltene Teile aus dem 13. Jahrhundert stammen und die inzwischen zu einem Freilufttheater umgebaut wurde, hat man einen atemberaubenden Blick über die Stadt und die Krka-Mündung.

 
So bietet Šibenik für jeden etwas – für alle Geschichts- und Kulturinteressierten, aber auch für die Naturliebhaber, die von hier oben aus vielleicht den nächsten Ausflug in den Krka-Nationalpark planen können. Auf keinen Fall aber sollte man sich Šibenik entgehen lassen, denn dann verpasst man wirklich etwas.
 

(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)

 
 
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