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Italien
 
 
Eine Alternative zu Leonardo

 
Eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Mailands ist nach meiner Erfahrung auch eine der am schwersten zugänglichen. Leonardo da Vincis berühmte Darstellung des Abendmahls kann man sich im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie mitten im Zentrum von Mailand ansehen – wenn man kann. Um in den Genuss dieses Kunstwerks zu kommen, muss man nämlich viele Wochen vorher bereits ein Ticket buchen oder sich einer der im Vergleich zu anderen Städten nicht eben preisgünstigen geführten Touren anschließen. Möchte man einfach während eines Stadtbummels eine Eintrittskarte kaufen und sich das Gemälde ansehen, hat man keine Chance. Da es sich nicht um ein Fresko handelt, das noch auf den feuchten Putz gemalt und so konserviert wird, sondern die Farben erst auf den bereits trockenen Putz aufgebracht wurden, ist das Bild hochgradig anfällig für sämtliche Einwirkungen von außen, und so wurde die Zahl der möglichen Besucher auf ein Minimum begrenzt, damit es nicht weiteren Schaden nimmt. Das erklärt auch, warum im Gegensatz zu fast allen anderen bekannten Museen und Kirchen Mailands hier keine Warteschlange zu finden ist: Spontanbesuche sind schlicht und ergreifend nicht möglich, deshalb hätte es auch keinen Sinn, sich anzustellen.

 
Auf eine sehr sehenswerte Darstellung des Abendmahls muss man jedoch nicht verzichten, wenn man es versäumt hat, sich rechtzeitig um Eintrittskarten für „Il Cenacolo Vinciano“ zu kümmern, und deshalb keinen Zutritt zu Leonardos Meisterwerk erhält. Wir fanden dieses und unzählige andere Wandgemälde in der Kirche des Hl. Mauritius auf dem Corso Magenta. Diese Kirche gehört zum Benediktinerinnenkloster Monastere Maggiore und ist die bunteste katholische Kirche, die ich je gesehen habe. Von der Straße aus läuft man beinahe Gefahr, sie im wahrsten Sinne des Wortes links liegen zu lassen, da sich die weiße Fassade, die zwar auch sehr schön ist, nicht besonders auffällig vom restlichen Straßenbild abhebt. Hat man sie aber erst einmal betreten, kommt man sich vor wie in einer anderen Welt. Dass die Kirche jederzeit zu besichtigen ist, ist übrigens dem Touring Club Italiano zu verdanken, unter dessen Ägide Freiwillige (in diesem Fall Rentner) ehrenamtlich für die Aufsicht in der Kirche sorgen und ausgesprochen freundlich alle Fragen beantworten, die einem als Tourist so einfallen.

 
Die Wandmalereien der Kirche und der sich direkt an sie anschließenden Kapelle für die Nonnen stammen unter anderem von so bedeutenden Künstlern wie Simone Peterzano, der mit diesen Fresken seine ersten bekannten Werke schuf. Allein die Darstellungen, wie Jesus die Händler aus dem Tempel jagt und Moses die Tafeln mit den zehn Geboten empfängt, machen den Besuch der Kirche schon zu einem Erlebnis. Später wurde Peterzano als Lehrer Caravaggios berühmt. Doch auch andere bekannte Namen kann man auf den Bildunterschriften immer wieder lesen, wie etwa den der Familie Luini. Bernardo Luini hat sich hier mit Bildnissen der heiligen Katharina ebenso ein Denkmal gesetzt wie sein Sohn Aurelio mit der Darstellung der Sintflut und der Arche Noah.

 
Auch wenn die biblischen Geschichten häufig kein gutes Ende für die Beteiligten genommen haben, werden sie in dieser Kirche so farbenfroh dargestellt, dass man sich an Engeln und Evangelisten, an der Geburt Jesu und vielem anderen wirklich erfreuen kann und einen bleibenden Eindruck davon bekommt, warum San Maurizio auch als die „Sixtinische Kapelle der Lombardei“ bezeichnet wird. Der Anblick der zum Teil vergoldeten Orgel mit ebenfalls bemalten Flügeln tut ein Übriges.
 
Doch obwohl die Kirche für Besucher sehr gastfreundlich offen steht, bewahrt sie sich auch ihre kleinen Geheimnisse. So ist die gesamte Kapelle der Nonnen in Höhe der Orgel von einer Galerie umgeben, in deren Nischen sich ebenfalls herrliche Malereien befinden. Deren Schönheit kann man jedoch nur von unten erahnen, da dieser Gang ausschließlich den Nonnen vorbehalten bleibt. Ich glaube, das ist auch gut so, denn was wäre eine Kirche ohne Mysterien?!

(Dieser Blogeintrag ist ein Auszug aus der gleichnamigen, in meinem Buch „Höhenangst in Paris, böhmische Drachen und eine wenig bekannte Wiedergeburt“ im Anthea-Verlag erschienenen Reiseskizze. Sie können Sie auch in elektronischer Form in dem E-Book über das jeweilige Land erwerben.)
 
 
 
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