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Großbritannien
Wo einst Eliza Veilchen verkaufte

Meine erste persönliche Begegnung mit Covent Garden liegt schon dreizehn Jahre zurück, und, bei Licht betrachtet, war sie auch eher mittelbar. Ich saß in einem jener in London geradezu allgegenwärtigen Touristenbusse, sah mit staunenden Augen immer wieder abwechselnd nach links und rechts und erfuhr nebenbei aus den Kopfhörern, dass man an einer bestimmten Stelle aussteigen solle, wenn man sich das Viertel Covent Garden ansehen möchte, das aus George Bernard Shaws Theaterstück „Pygmalion“ und dem dazugehörigen Musical „My Fair Lady“ bekannt ist. Wahrscheinlich ist das auch der einzige Grund, warum ich mir die entsprechende Ansage gemerkt habe: „My Fair Lady“ ist mein unangefochtenes Lieblings-Musical; den entsprechenden Film mit Audrey Hepburn und Rex Harrison kenne ich seit meiner Kindheit, und ich kann nicht einmal mehr sagen, wie oft ich ihn inzwischen schon gesehen habe. Dennoch ließ ich es damals aus Zeitgründen bei der Information aus dem Bus bewenden und stieg nicht an der angegebenen Stelle aus.

Nun verschlug uns ein glücklicher Zufall endlich wieder einmal nach London, wobei die Zeit fürs Sightseeing ähnlich knapp bemessen war wie beim ersten Mal. Deshalb maß ich dem Rat unserer ortskundigen Gastgeberin, uns unbedingt den Markt in Covent Garden anzusehen, zunächst auch nur eine sekundäre Bedeutung bei, weil mir Orte wie der Tower of London, die Tower Bridge und auch die durch Sherlock Holmes zur Legende gewordene Baker Street wesentlich wichtiger erschienen. Natürlich erschienen uns auch dafür die Hop-on-hop-off-Busse das geeignetste Verkehrsmittel zu sein, und so wurde uns am Trafalgar Square wieder mitgeteilt, dass man von dort aus nach Covent Garden laufen könne, das über zahlreiche Kneipen und ein interessantes Nachtleben verfüge.

Zusätzlich erfuhren wir allerdings auch noch etwas über die Herkunft des Namens dieses Stadtteils, der mich schon immer ein wenig verwundert hatte. So stammt „Covent Garden“ ursprünglich tatsächlich von einem Konvent, der hier im Mittelalter einen Garten unterhielt, um seinen Lebensmittelbedarf zu decken. So hieß der Ort auch folgerichtig „Convent Garden“, doch da das erste „n“ im Volk nicht gesprochen wurde, hat sich auch das Toponym im Laufe der Jahre als „Covent Garden“ eingebürgert. Auch diesmal nahmen wir die Informationen zunächst lediglich zur Kenntnis.

Nachdem wir aber gegen Einbruch der Dunkelheit vom Buckingham Palace zum Trafalgar Square gelaufen waren und uns die dortige Atmosphäre mit all den Straßenkünstlern schon sehr gefallen hatte, beschlossen wir, die zahlreichen Ratschläge endlich zu befolgen und uns Covent Garden selbst anzusehen. Da unsere Gastgeberin keinen Bezug zu „Pygmalion“ hergestellt hatte, war auch bei mir diese Information ein wenig in den Hintergrund gerückt, und wir konzentrierten uns auf das Geschehen in der Markthalle und die allgegenwärtigen Straßenkünstler.

Da war zunächst ein Streichquintett, das mit seiner schwungvollen Interpretation klassischer und anderer Musik die Zuhörer in seinen Bann zog. Die Musiker spielten eigentlich in einer offen gestalteten Bar im Souterrain der Einkaufspassage, aber auf der darüber befindlichen Galerie hatten sich schon viele Bewunderer versammelt, die geduldig bis zum Ende des ungewöhnlichen Konzertes ausharrten.

Als wir die Markthalle verließen, hörte ich vor dem London Transport Museum auf einmal Klänge, die mir seltsam vertraut vorkamen. Zwar stellte sich schnell heraus, dass ich weder die Musik noch den Sänger kennen konnte, doch das Timbre seiner Stimme und die Melodieführung der Gitarre erinnerten mich sehr an die irische Sands Family, deren Lieder mich auch schon seit Jahrzehnten begleiten. Da auch dieser Musiker seine Darbietung gerade beendete, schlenderten wir weiter und fanden uns auf einmal mitten in einer Charlie-Chaplin-Show wieder.

Ein Pantomime im Chaplin-Kostüm agierte vor einem Transparent, das lediglich verkündete, dass dies eine Charlie-Chaplin-Show sei, und um ein Podest mit der Aufschrift „No war“ herum. Dabei holte er sich Zuschauer auf die gedachte Bühne und brachte sie dazu, seine pantomimischen Darstellungen mit ihm gemeinsam auszuführen, was sowohl den aktiven als auch den passiven Zuschauern viel Spaß machte und dem Künstler buchstäblich ein volles Haus bescherte.

Wir aber beschlossen, den Abend mit diesem Erlebnis zu beschließen, weil wir nach einer sehr kurzen Nacht den ganzen Tag auf den Beinen gewesen waren und noch eine Heimfahrt mit Underground und Bus vor uns hatten. So liefen wir also schnurstracks in Richtung der nächsten U-Bahn-Station, und als ich mich noch einmal umsah, traf es mich bei einem letzten Blick auf die Covent Garden Piazza wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Das war die Kulisse aus der Anfangsszene von „My Fair Lady“! Am Fuße der Säulen der St.-Pauls-Kirche hatte Eliza Doolittle gesessen und Veilchen verkauft!

Nun wurde es natürlich doch noch nichts mit dem Heimweg. Ich drehte mich buchstäblich auf dem Absatz um und ging noch einmal auf den Platz zurück. Nun fügte sich alles wie ein Puzzle zusammen: das Kirchenportal und der Blick auf den Eingang der Markthalle. Hier hatte Alfred P. Doolittle als Bierkutscher gearbeitet und nach „‘nem kleenen Stückchen Glück“ gesucht. In diesem Moment tauchten alle Szenen aus dem Film und verschiedenen Theaterinszenierungen wieder vor meinem inneren Auge auf, die an dieser Stelle gespielt hatten, und der Mond, der direkt über der Kirche leuchtete, schien seinen Teil zur Authentizität der Szenerie beitragen zu wollen.

 
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