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Frankreich
 
 
Straßburger Innenansichten

 
Innenansichten einer Stadt können zweierlei bedeuten: entweder die Einblicke, die man innerhalb der Stadt gewinnt, wenn man sie selbst eingehender betrachtet, andererseits aber auch all das, was man innerhalb geschlossener Räume in dieser Stadt erfahren kann.
Zu beidem bot sich uns bei unserem diesjährigen Straßburg-Besuch die Gelegenheit, weil wir nach längerer Zeit endlich wieder einmal mehrere Tage in dieser Stadt verbringen konnten und die oberflächliche Bekanntschaft mit ihr in fast zwanzig Jahren schon mehr als ausgiebig gepflegt hatten.
Die erste dieser Innenansichten war uns zwar nicht neu, dennoch bekommt man sie nur, wenn man sich mit den Menschen unterhält und mit offenen Augen durch die Straßen läuft. Ich meine den Elsässer Dialekt. Natürlich gehört Straßburg nun schon seit fast hundert Jahren zu Frankreich, dennoch wird die Zweisprachigkeit der alteingesessenen Bewohner auch in Alltagssituationen immer wieder sichtbar. Natürlich sind sämtliche Aushänge, Plakate, Werbetafeln etc. französisch gehalten, dennoch wechseln viele der Menschen, auch wenn man sie auf Französisch anspricht, automatisch ins Deutsche bzw. Elsässische, sobald sie merken, dass man aus Deutschland kommt. In der Altstadt sind die Straßenschilder zweisprachig. Hier ist jedoch Vorsicht geboten, wenn man davon ausgeht, die elsässischen Bezeichnungen, die unter den offiziellen französischen Straßennamen stehen, seien Übersetzungen derselben. Bei Namen wie „Lang Stross“ für „Grand‘ Rue“ mag das sicher auch der Fall sein, aber spätestens, wenn man auf dem Place de la République die deutsche Form „Kaiserplatz“ liest, wird deutlich, dass es sich wohl eher um die alte Bezeichnung aus der Zeit vor dem Versailler Vertrag handeln muss. Bei „Spiessgass“ für „Rue des Hellebardes“ und anderen nicht mehr ganz zeitgemäßen Namen hingegen bin ich schließlich zu der Erkenntnis gekommen, dass die Übersetzungsrichtung wahrscheinlich genau umgekehrt zu meiner ersten Vermutung verlaufen ist.

Auf dieser Reise bin ich noch auf einen weiteren historischen Aspekt gestoßen, den ich bis dato nie mit Straßburg in Verbindung gebracht hätte. Auch wenn es durchaus einige Städte in Mitteleuropa gibt, deren Innenstädte sowohl immer noch mittelalterlich anmuten als auch wunderschöne Jugendstilgebäude zu bieten haben, wie zum Beispiel Prag und auch Erfurt, hätte ich Straßburg nicht dazugezählt, weil ich noch nie eine Andeutung in dieser Richtung gefunden hatte - weder in Büchern noch auf unseren Streifzügen durch die Stadt. Dank einem Reiseführer, der bereits im Titel versprach, einen die Stadt abseits der üblichen Touristenpfade erleben zu lassen, sollte sich das nun ändern. Es waren zwar nicht viele Jugendstilbauten, die wir so zu sehen bekamen, doch die beiden, von denen hier die Rede sein soll, sind auf jeden Fall einen Spaziergang durch den Stadtteil Krutenau wert.

 
Die Hochschule für dekorative Kunst liegt gut versteckt in einem kleinen Park und gibt die Schönheit ihrer Fassadendetails nur demjenigen preis, der mit einem guten Teleobjektiv ausgerüstet ist. Vermutlich täte es auch ein Fernglas, allerdings halte ich die Wahrscheinlichkeit, das man so etwas auf einem Stadtbummel mit sich führt, für noch wesentlich geringer. Gelingt es einem aber, einen Blick zwischen den Bäumen hindurch über den fast wie einen großen Schulhof anmutenden Park auf das Gebäude zu werfen, wird man mit dem Eindruck einer wunderschönen Fassade mit herrlichen Blumenmotiven dafür belohnt.
Freigiebiger mit seiner Pracht ist das Kommunale Hallenbad, das man, wenn man sich ihm von der Rückseite nähert, auch für ein Krankenhaus oder gar ein Werksgelände halten könnte. Steht man jedoch vor dem Eingang, kann man schon erahnen, dass das Gebäude durchaus noch mehr zu bieten hat. Allerdings wäre ich ohne den Tipp aus dem Reiseführer nicht darauf gekommen hineinzugehen und hätte so eine durchaus sehenswerte Innenansicht von Straßburg verpasst. Allein schon die Tatsache, dass man aus dem Foyer in zwei verschiedene Hallenbereiche kommt, rief bei mir Kindheitserinnerungen wach. Die Schwimmhalle, in der ich vor vielen Jahren meine ersten richtigen Schwimmstöße gemacht habe, war ebenfalls unterteilt: in die Große Halle mit einer Bahnlänge von 25 Metern und die Kleine Halle mit 20 Metern. Leider ist dieses Berliner Hallenbad seit über zwanzig Jahren geschlossen, und so freute es mich umso mehr, die alten hölzernen Umkleidekabinen, die einem einen direkten Zugang zu den Schwimmbecken bieten, und die für heutige Verhältnisse eher kleinen Becken im fast schon schummrigen Licht zu sehen. Natürlich darf in diesem Bereich nicht fotografiert werden, aber die Wandreliefs im Eingangsbereich haben mich dafür vollends entschädigt.
Die letzten beiden Innenansichten dieser Reise gewährten uns zwei Museen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: das Musée de l’Œuvre Notre-Dame und das Tomi-Ungerer-Museum. Ersteres steht  natürlich in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Straßburger Münster (und auf dem Münsterplatz auch direkt daneben), bietet aber noch deutlich mehr, nämlich Kunstwerke von der Romanik bis zur Renaissance. Natürlich sind die absoluten Highlights einige Originale der Statuen, die ursprünglich die Fassade der Kathedrale zierten und dort nur noch in Form von Kopien sämtlichen Witterungseinflüssen ausgesetzt sind. Doch auch andere interessante Dinge findet man in diesem Museum, wie zum Beispiel zwei Gemälde aus dem 15. Jahrhundert, deren Inhalt („Die Geburt der heiligen Jungfrau“ und „Josephs Zweifel“) sich ausschließlich auf die Apokryphen stützt und nicht auf die kanonisierten Bücher der Bibel.
 
Das Tomi-Ungerer-Museum ist dazu natürlich das Kontrastprogramm. Eigentlich hatte ich im Museum für moderne Kunst nach dem berühmten Elsässer Illustrator gefragt, dort aber erfahren, dass er sozusagen sein eigenes Museum hat. Die Villa, in deren Garten einen die „Drei Räuber“ begrüßen, die aus einem Zeichentrickfilm des Künstlers stammen, beherbergt gleichzeitig das Internationale Zentrum für Illustration. Hier finden Wechselausstellungen anderer Illustratoren statt. Auch wenn Tomi Ungerer schon lange in Irland lebt, ist er seiner Heimat doch verbunden geblieben und hat den Straßburger Museen einen großen Teil seines grafischen Werkes und seine Sammlung mechanischen Spielzeugs überantwortet.
 
Nach all diesen Erlebnissen und weiteren Streifzügen, auf denen wir immer wieder das eine oder andere interessante Gebäude sahen, durch Parks schlenderten und sogar auf ein Goethe-Denkmal stießen, das die Stadt dem Dichterfürsten zu dessen 150. Geburtstag errichtet hatte, waren wir uns wieder einmal sicher, dass Straßburg jede einzelne Reise wert ist und dass es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.

 
 
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