Impressionen aus der Glashalle
Jeder, der schon einmal auf dem
Leipziger Messegelände war, kennt sie, die riesige Halle mit dem halbrunden
Glasdach, in der jedes Jahr auch die Leipziger Buchmesse stattfindet. In diesem
Jahr von einer „Frühjahrsmesse“ zu sprechen, wie es eigentlich üblich ist, käme
jedoch einer glatten Verfehlung des Themas gleich. Eindeutiger Hinweis auf den
noch nicht vergangenen Winter waren dabei nicht nur die Eiszapfen, die an den
Fenstern der Glashalle zu sehen waren, sondern auch die Tatsache, dass der
schmelzende Schnee fast permanent durch die Decke derselben tropfte. Wer es am
Samstag, dem Tag mit den traditionell meisten Besuchern, vorgezogen hatte, den
ab einem bestimmten Zeitpunkt ohnehin nicht mehr fahrenden Zügen den Rücken zu
kehren und mit dem eigenen Auto anzureisen, musste erst einmal durch etwa zehn
Zentimeter hohen Schnee stapfen und sich gleichzeitig überlegen, ob sein
festgefahrenes Auto am Abend wohl wieder aus der weißen „Pracht“ befreit werden
könnte. Offensichtlich waren alle - Veranstalter, Bahn und Gäste - von dem
neuerlichen Wintereinbruch überrascht worden, und so blieb nur, es mit Humor zu
nehmen. Bestes Beispiel dafür war der Ausruf, der auf dem Weg vom Parkplatz zum
Eingang direkt hinter uns in einer sonoren männlichen Tonlage erklang: „Bloß
gut, dass ich heute nicht meinen Rock angezogen habe!“ Was zunächst völlig
absurd erscheint, ist es auf den zweiten Blick nur noch zum Teil, schließlich
ist Leipzig immer auch ein beliebter Treffpunkt für Cosplayer, unter denen sich
die Crossplayer, die sich bewusst entgegen dem eigenen Geschlecht verkleiden,
wohl immer größerer Beliebtheit erfreuen. Die Cosplayer konnten einem diesmal
allerdings auch besonders leidtun, denn die meisten der liebevoll gestalteten
Kostüme waren für dieses Wetter einfach nicht gedacht.
Außer dem Wetter gab es jedoch
auch noch andere Unterschiede zu den Vorjahren, wobei ich hier nur meine ganz
subjektiven Eindrücke wiedergeben kann, denn um sich als Einzelperson einen
umfassenden Eindruck zu verschaffen, ist die Messe zu groß und zu vielfältig.
Ich hatte in diesem Jahr das Gefühl, dass der große Roman, über den alle
sprachen, fehlte. War ich in den vergangenen Jahren regelrecht erpicht darauf
gewesen, Juli Zeh oder Mathias Énard zu hören, weil ihr aktuelles Werk jeweils
in aller Munde war, habe ich diesmal erst dank einigen im Auto gehörten
Radiosendungen eine Vorstellung davon bekommen, welche Lesungen und Gespräche
ich mir anhören wollte. Der Blick auf die Programmplakate bei den großen
Kulturmedien wie 3sat, MDR Kultur und dem ZDF bestätigte meinen Eindruck, dass
die Messe in diesem Jahr sachbuchlastiger war. Historische Abhandlungen,
Biografien und politische Reportagen nahmen nach meinem Gefühl mehr Raum ein
als in den vergangenen Jahren und mehr als die rein fiktionale Literatur.
Ein immer wiederkehrendes
Diskussionsthema ist der Buchverkauf. Darauf möchte ich hier nur aus der
Lesersicht eingehen, die Verlage haben, wie ich weiß, ihre eigenen Probleme
damit. Im Gegensatz zur Frankfurter Buchmesse konnte man in Leipzig schon immer
die meisten der vorgestellten Bücher direkt vor Ort kaufen. Bis vor wenigen
Jahren ging das allerdings nur in der Messebuchhandlung, was besonders dann
höchst unpraktisch war, wenn man gerade in einer gänzlich anderen der fünf
Messehallen unterwegs war. Deshalb wurden vor einigen Jahren mobile Kassen
eingerichtet. Nun stehen hilfsbereite junge Menschen in der Nähe der
Verlagsstände, und man kann bei ihnen gleich bezahlen, was man sich am Stand
ausgesucht hat. So weit, so gut. Problematisch finde ich es allerdings, wenn es
bei den zahlreichen Gesprächen und Lesungen mit Schriftstellern bei Weitem
nicht immer einen Büchertisch gibt. Man hört zu, interessiert sich für das
vorgestellte Buch, hätte die Möglichkeit, es sich vom Autor signieren zu
lassen, kann genau das aber nicht tun, weil niemand da ist, der einem das
entsprechende Buch verkauft. Bis man es sich nach einer Lesung aus der
Messebuchhandlung geholt hat, ist der Autor verständlicherweise längst wieder
seiner Wege gezogen und die Chance, ein signiertes Exemplar zu ergattern,
vertan. (Bei kleineren Verlagen stellt sich dieses Problem übrigens meines
Wissens nicht, weil bei den Lesungen auf den „Leseinseln“ in den einzelnen
Messehallen Büchertische vorhanden sind. So habe ich es zumindest bei meiner
eigenen Lesung erlebt und auch bei vielen anderen gesehen.)
Einen Vorteil hat diese höchst
unpraktische Vorgehensweise dennoch: Da ich wirklich an dem einem oder anderen
signierten Buch interessiert war, habe ich mir nach den ersten Lesungen die
entsprechenden Werke gekauft und bin dann (soweit möglich) zu einer weiteren
Veranstaltung mit dem jeweiligen Autor gegangen. So habe ich Dominique Horwitz
und Jakob Hein in jeweils sehr unterschiedlichen Gesprächen erleben können. Es
ist faszinierend, wie verschieden solche Veranstaltungen verlaufen, die doch
eigentlich nur dazu dienen, ein Buch zu promoten. Je nach Qualität und
Interessenlage des Moderators geben die Autoren dann aber ganz andere Dinge von
sich und ihrem Schaffen preis, und auch das ist durchaus ein Erlebnis, sodass
ich es in beiden Fällen keineswegs bereut habe, ein und dasselbe Buch mehrfach
vorgestellt zu bekommen. Julia Schoch hat mir ihr Buch netterweise in meiner
Abwesenheit signiert. Ich hatte es am Stand ihres Verlages deponiert und darum
gebeten, es für mich unterschreiben zu lassen, falls sie an diesem Tag dort
noch einmal vorbeikäme.
So war es alles in allem eine,
wenn auch sehr winterliche, so doch wieder höchst interessante Buchmesse, bei
der ich viel gesehen, gehört und erfahren habe. Ich habe mich zwischen all den
Büchern und Buchmenschen wieder sehr wohl gefühlt und freue mich schon jetzt
auf das nächste Ereignis dieser Art, die Buch Berlin im November.