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Deutschland
Die Orgelwächter an der Elbe

Ein Jahr ist sie nun schon alt, und geredet wurde über sie schon um ein Vielfaches länger. Zunächst hatte es den Anschein, als könnte der gesamte Bau ein Desaster werden, und viel teurer als geplant wurde er auch. Nun aber steht sie fertig da: In aller Pracht und Herrlichkeit thront sie über der Elbe und kann über die am gegenüberliegenden Ufer befindlichen Musicaltheater, auf die sie majestätisch herabblickt, wahrscheinlich nur müde lächeln. Sicher, auch diese sind gut besucht und erfreuen sich großer Beliebtheit, aber ausverkauft bis ins Jahr 2020 hinein? Das ist wohl wirklich nur Elphi vorbehalten, der neuen Herrscherin der Hamburger Hafencity, die offiziell natürlich Elbphilharmonie heißt.

Einem glücklichen Umstand und etwas Geschick im Umgang mit dem Internet hatten wir es zu verdanken, dass wir trotzdem zu Karten gekommen waren und in den Genuss kamen, uns das architektonische Kunstwerk von innen anzusehen. Dass wir an diesem Januarnachmittag auch noch Glück mit dem Wetter hatten und die Plaza bei strahlendem Sonnenschein betreten konnten, war natürlich ein zusätzliches Vergnügen. Dorthin gelangt man allerdings auch, ohne dass man Konzertkarten hat. Man steht vor der Wahl: „Möchten Sie den Aufzug nehmen oder die längste gebogene Rolltreppe Europas?“ - und das ist dann, ehrlich gesagt, auch wieder keine Wahl mehr, denn wer würde sich einen solchen Superlativ entgehen lassen? Der Ausblich von der Plaza über den Hafenbereich mit Landungsbrücken und „König der Löwen“ ist spektakulär und, zumindest wenn man ohnehin in der Gegend ist, auf jeden Fall auch ohne Musikgenuss einen Ausflug wert.

Wir aber durften noch weiter ins Allerheiligste vordringen. Der Große Saal, der gerade zum 1. Jahrestag der Eröffnung gerade wieder alle Feuilletonisten auf den Plan gerufen hatte, erwartete nun auch uns. Was hatten wir nicht schon alles über ihn gehört? Die Akustik sei so perfekt, dass sie auch nicht den leisesten Misston verzeihe, man höre sogar das Umblättern der Noten und das Wechseln der Dämpfer bei den Blasinstrumenten etc. pp.

Gut, die Dämpfer entfielen für uns von vornherein, weil es ein Konzert der 12 Cellisten von den Berliner Philharmonikern war, aber auch ansonsten hörten wir nicht einen Laut, der nicht zum Konzert gehört hätte. Dafür war die Akustik wirklich atemberaubend: Obwohl wir den Musikern in diesem runden Saal fast im Rücken saßen (auf dem Chorbalkon des Berliner Konzerthauses hatte ich damit schon weit weniger gute Erfahrungen gemacht), war jeder einzelne Bogenstrich zu hören und die eigentlich so gleichartigen Instrumente gut auseinanderzuhalten.

Der Saal an sich ist natürlich ein architektonisches Highlight: Jedes Detail seiner Verkleidung ist genau auf die Akustik abgestimmt und damit ein völliges Unikat. Es gibt keine rechten Winkel und auch fast keine geraden Linien, wenn man einmal von den zum Glück waagerechten Zuschauerreihen absieht. Alles harmoniert perfekt miteinander - sowohl im ästhetisch-visuellen als auch im akustischen Sinn, und manches erschließt sich erst auf den zweiten oder dritten Blick.

So fielen mir auf der Höhe unserer Plätze im Zuschauerraum Metallrohre auf, die ich zunächst für eine spezielle Wandverkleidung gehalten hatte. Beim genaueren Hinsehen erblickte ich jedoch in einer Nische ein Tasteninstrument, und damit war klar, wozu dir vermeintlichen Rohre gehörten: Es war die Orgel, die in die Saalwand integriert war. Wenig später sah ich auch eine junge Dame, die ich erst für eine Platzanweiserin gehalten hatte, vor der Orgel stehen. In der Pause lüftete sie das Geheimnis: Ihre Aufgabe bestand einzig und allein darin aufzupassen, dass sich kein Zuschauer an den Manualen vergreift und vielleicht aus lauter Übermut an unpassender Stelle einen Ton erklingen lässt, der mit dem eigentlichen Konzert nichts zu tun hat.

Zu guter Letzt entpuppte sich auch die Tageszeit, für die wir Eintrittskarten ergattert hatten, als Glücksgriff. Es war nämlich ein Nachmittagskonzert. Da der Einlass jeweils zwei Stunden von dem Konzert beginnt, hat man genügend Zeit, die einzelnen Stockwerke und den Ausblick über Hamburg eingehen zu betrachten, und wir konnten dies sogar noch bei Tageslicht tun. Nach dem Konzert war es zwar, wie im Januar nicht weiter verwunderlich, dunkel, doch ich hätte auf den Blick aus den berühmten Fenstern vor Einbruch der Dämmerung auf keinen Fall verzichten wollen.
 
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