- Literatur - Reiseblog

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Deutschland
Wagner mögen Schwalben nicht

Manche Reisen dauern etwas länger, andere sind von der kürzeren Sorte. Zu letzteren zählte eindeutig meine Stippvisite im östlich von Berlin gelegenen Wegendorf, deren Anlass der Schriftsteller Hans Fallada war. Es ging darum, Fotos von einer ihm gewidmeten Gedenktafel für eine Broschüre zu machen, die zur Enthüllung der Gedenktafel verteilt werden sollte. Auf diese Weise verschlug es mich zum ersten Mal in die Werkstatt eines Kunstgießers. Ehrlich gesagt, hatte ich mir von dem Besuch wirklich nicht mehr als diese Fotos versprochen und war in der Meinung dorthin gefahren, relativ schnell wieder zurück zu sein.

Als mich nach dem ersten der zwei großen Hunde, ihres Zeichens Leonberger, der Künstler Wilfried Hann selbst begrüßte und erst einmal an den Tisch unter der Pergola bat, merkte ich schon, dass ich mich getäuscht hatte. Überall auf dem Hof standen Bronzeplastiken, und diejenigen von ihnen, die am stärksten ins Auge fielen, gehörten zum Figurenkanon der Commedia dell’Arte.

In diesem Moment erinnerte ich mich auch, dass ich bereits davon gehört hatte, dass der kleine Harlekin, der fast schon unscheinbar an einer Altlandsberger Straßenkreuzung steht, auch dieser Kunstgießerei entstammte. Hier gab es allerdings noch viel mehr der liebenswerten Gestalten: Colombina, die verträumt am Gartenteich sitzt, eine Tamburinspielerin, und Pulcinella, dessen Nase dem Schnabel eines Vogel ähnelt und der für andere Figuren in Europa wie den deutsche Kasper, den englischen Punch oder Petruschka in Russland Pate gestanden haben soll.

Des Rätsels Lösung brachte die Erklärung des Meisters, dass seine Frau Verena Hann-Metzkes und sein Schwager Bildhauer seien; dass sein Schwiegervater Harald Metzkes und damit ein in der DDR keineswegs unbekannter Maler war, erfuhr ich eher nebenbei. Die Figuren der Commedia dell’Arte stammen von Robert Metzkes, dem Schwager. Einen ähnlichen Harlekin wie den Altlandsberger findet man übrigens an dem von ihm gestalteten Diesterweg-Denkmal in Berlin-Mitte, ganz in der Nähe der Museumsinsel.

Überall auf diesem Hof gab es etwas zu entdecken: Selbst die Umrandung des Gartens und des dazugehörigen Teiches ist etwas ganz Besonderes: Für die Knäufe auf den senkrechten Streben wurden kleine Obst- und Gemüseknollen in ein feuerfestes Material gebettet, dass dann gebrannt wurde, wobei alle natürlichen Materialien verbrennen. In der so entstandenen Form wird das Metall gegossen, und ich konnte auf diese Weise einen Granatapfel, ein Stück Brokkoli, einen kleinen Romanesco und sogar einen Mini-Wirsingkohl bewundern, der, wie Wilfried Hann mir erzählte, im KaDeWe in dieser Größe für Single-Haushalte verkauft wird.

Wohin wir auch kamen, überall waren junge Leute am Werk, denn in diesem Betrieb werden auch Metall- und Glockengießer, wobei der Wilfried Hann selbst den Begriff „Kunstgießer“ bevorzugt („Was sich die IHK da nur wieder ausgedacht hat! Wir gießen hier doch keine Glocken!“), und Ziseleure ausgebildet, die die gegossenen Objekte anschließend bearbeiten, Schweißnähte versäubern etc. Auch Kunstwerke, denen der Zahn der Zeit oder andere Einflüsse übel mitgespielt hatten, gelangen auf diesem Hof zu neuem Glanz, falls man davon bei Bronze reden kann. Wer kann denn auch ahnen, dass ein Denkmal, dem man einen Feuerwerkskörper in die Hand legt und diesen anzündet, einen ernsthaften Schaden davonträgt?! Dumme Jungen, die wie zu allen Zeiten Streiche aushecken, offenbar nicht.

An vielen Stellen dieses Hofes fühlt man sich ein wenig in eine andere Zeit versetzt, denn bei aller Arbeitsatmosphäre und gar nicht hektischer Betriebsamkeit lädt einiges durchaus zum Träumen und Verweilen ein. So auch die Bemerkung des Künstlers (der sich übrigens nur höchst widerwillig als Unternehmer bezeichnet, weil er nicht als Ausbeuter dastehen möchte, seine Arbeit aber gar nicht im Alleingang zu machen ist, denn für einen Gießvorgang sind mindestens vier Leute vonnöten), als er mir das Herzstück seines Unternehmens zeigte: „Das hier ist das Unterteil einer Frauenfigur, bei dem gerade die Schweißnaht versäubert wird, das ist unser Schmelzofen, und das“ - kurzes Aufhorchen - „ist Brahms!“ Die Musik kam aus einer hinteren Ecke, und das eigentlich Erstaunliche war die Erklärung, die darauf folgte.

Auf dem Hof nisteten schon Schwalben, als das Künstlerehepaar ihn Ende der 1980er-Jahre übernahm. Da sie zuerst da waren, wurde auch nie etwas gegen die Nester unternommen, nur an Stellen, wo es für die Tiere aufgrund elektrischer Geräte oder hoher Wärmeentwicklung gefährlich werden könnte, werden die ersten Nistansätze rigoros entfernt. Inzwischen hat Wilfried Hann auch herausgefunden, auf welche Klänge die Rauchschwalben reagieren: „Wagner und Bruckner mögen sie gar nicht. Da stoßen sie immer Warnrufe aus, weil viel zu laute Blechbläser zu hören sind. Brahms geht gerade noch, aber Sopran und Klavier mögen sie. Überhaupt gefallen ihnen menschliche Stimmen.“ Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum in der Werkstatt in jedem Sommer ungefähr zwanzig Schwalbennester gebaut werden und damit gegen Ende des Sommers hundert Schwalben zugange sind. Einen kleinen Eindruck davon bekam ich jetzt schon, doch weil noch nicht alle Jungtiere geschlüpft und flügge waren, flog nur ab und zu eine Schwalbe über uns hinweg.

Bei all diesen neuen Eindrücken und der wunderbaren Verbindung von Natur und Kultur hatte dieser Vormittag auf mich eine Wirkung wie ein Urlaubstag. Das hätte ich mir, als ich telefonisch den Termin vereinbarte, nicht träumen lassen. So war es auch nicht verwunderlich, dass ich beim Verlassen des Hofes an der Toreinfahrt den Guss eines Pferdekopfes entdeckte, und auch wenn mein freundlicher Gesprächspartner mir versicherte, dass dieser nichts mit Falada aus dem Grimmschen Märchen zu tun hätte, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich so der thematische Kreis zu dem Schriftsteller schloss, der mich ursprünglich hierher geführt und seinen Künstlernamen in Anlehnung an diesen Pferdekopf gewählt hatte.
 
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